Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Reyes war verantwortlich für seinen Zorn. Es waren Rechtfertigungen, mit denen sich der junge Laerte bemühte, sein Schuldbewusstsein und den Schatten Madogs zu unterdrücken.
Je mehr Kämpfe er ausfocht, desto sicherer und besser wurde er in der Handhabung seiner Waffen. Dun jedoch schien nichts davon zu bemerken. Nie lobte er den Jungen für seine Mühe, niemals kam nach dem Ende der Übungen eine Ermutigung. Der General begnügte sich damit, immer wieder die gleichen Ratschläge zu wiederholen und sich über seine Haltung lustig zu machen – ihn zu necken , wie er es ausdrückte.
Laerte liebte Dun nicht. Er ertrug ihn. Der General war ein Feind, einer von denen, die die Salinen angegriffen hatten, einer von denen, die Guet d’Aëd eingenommen hatten, einer von denen, die seine Familie auf dem Gewissen hatten. Zumindest sagte er sich das immer wieder …
Als sie allerdings in Emeris ankamen, hatte er sich entgegen jeder Erwartung nicht nur an Dun gewöhnt, sondern genoss seine Gesellschaft zeitweise sogar. Seine Offenheit gefiel ihm, obwohl sie nicht alles entschuldigte. Der General war in seinen Augen rüpelhaft, hart und unkultiviert. Er hielt sich für allwissend und war der Meinung, niemandem etwas beweisen und sich niemandem unterwerfen zu müssen. Abgesehen vom Kaiser. Nur seine eigene Ansicht war wichtig, einzig seine Sicht der Welt ließ er gelten, und allein sein Wort zählte. Das Kaiserreich, dem er diente, galt ihm als richtig und gerecht und verdiente, dass man sein Leben dafür gab. Für ihn spielte es offenbar keine Rolle, dass im Namen dieses Reichs Männer aufgehängt und Frauen vergewaltigt und aufgeschlitzt wurden. Oder hatte der General tatsächlich keine Ahnung von den Leiden der Familie Uster?
Naïs … sie hieß Naïs … meine Schwester …
»Du wirst doch nicht etwa stumm sein?«, erkundigte sich der Verwalter. »Du hast bisher noch nicht ein Wort gesprochen. Ich habe aber schon von dir gehört. Du bist Grenouille, nicht wahr?«
Ein Mann in einem langen, weißen Gewand mit einem roten Umhang um die Schultern geleitete sie durch die Flure. Dun hatte ihn als Verwalter der Kaisers vorgestellt.
»Ja«, murmelte der Junge.
»Grenouille«, mahnte Dun vorwurfsvoll.
»Ja, Euer Durchlaucht.«
»Wir haben deine Bemühungen für das Kaiserreich aufmerksam verfolgt. Respekt, junger Mann.«
»Danke, Durchlaucht.«
Am Ende des mit hohen Spiegeln geschmückten Gangs befand sich eine große Doppelflügeltür, und hinter dieser Tür verbarg sich der letztgeborene Reyes. Laerte spürte, wie sich seine Muskeln spannten. Er war sprungbereit. Doch er durfte keinen Fehler machen. Sobald er die Tür durchschritt, musste er die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, ohne zu zittern. Der Verwalter stieß die Flügel auf.
Er würde keine zweite Chance bekommen.
Die Scharniere quietschten leise. Vor ihnen lag ein riesiger Saal mit schwarz geädertem Marmorboden.
Keine zweite Chance.
Dutzende glatter, glänzender Säulen lenkten den Blick zu einem roten Vorhang, der vor einem großen Balkon aufgespannt war. Baumwipfel reichten bis zur Brüstung hinauf. Dieser Schatten hinter dem blutfarbenen Vorhang, diese schwarze Gestalt, die von Dienerinnen mit dampfendem Wasser begossen wurde – war er das etwa? War das Asham Ivani Reyes? Laerte erstarrte.
»Geh weiter«, befahl Dun leise und versetzte dem Jungen einen Knuff in den Rücken. »Und sprich immer erst, wenn du angesprochen wirst.«
Hinter dem Stoff krümmte sich der Schatten. Mit einem Handzeichen gebot der Verwalter den beiden Gästen, ihm zu folgen.
»Der aus den Salinen zurückgekehrte General Daermon und sein junger Zögling sind zur Audienz bei Eurer kaiserlichen Hoheit erschienen«, verkündete er mit lauter Stimme.
»Habt Ihr mir etwa einen Sohn mitgebracht?«, erklang es spöttisch hinter dem Vorhang. »Kommt Ihr deswegen so spät?«
Sie bewegten sich auf die Gestalt im Bad zu. Der Kaiser war nur ein Schatten – aber was für ein Schatten! Imposant, stark – und hassenswert. Laerte ging schneller, bis er mit dem Verwalter gleichauf war. Sein Herz schlug immer wilder. Je näher er seinem Ziel kam, desto feuchter wurden seine Hände. Er schwitzte. Seine Hand streifte den Griff seines Schwertes.
Schnell und gut, so sollte es sein. Schnell, gut und mitten ins Herz. Die Klinge würde das Tuch durchtrennen, und das kaiserliche Blut würde sich mit seiner Farbe mischen. Und dann wäre alles zu Ende. Der Krieg. Und sein eigener Schmerz. Sein
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