Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
bereit, verschlungen zu werden.
Was sollte nur aus ihm werden?
»Los, du tätowierter Wilder! Verteidige dich!«
»Meine Güte, wie der Kerl stinkt!«
Laerte beobachtete den Nâaga, der mit gesenktem Kopf zwei schwere Kisten trug. Trotz der Rempeleien stand er fest auf seinen muskulösen Beinen. Er schien noch jung zu sein, wirkte aber ausgesprochen kräftig. Sein zerrissenes braunes Leibchen ließ zwei muskulöse Arme erkennen, ein körperlicher Vorzug, der sowohl seinem Status als schwer arbeitendem Sklaven als auch seiner kulturellen Zugehörigkeit zu verdanken war.
Nâagas durchliefen von Kindesbeinen an ein hartes Training. Ihr Ziel war ein ausdauernder, schmerzresistenter Körper. So verprügelten sie sich beispielsweise gegenseitig mit dicken Ästen, durften dabei aber weder zurückweichen noch in die Knie gehen, wie Dun ihm eines Tages angewidert erzählt hatte. Bereits in frühester Jugend lernten die Nâagas so, jede Art von Schmerz zu ertragen.
Der junge Nâaga bemühte sich mit viel Gleichmut weiterzugehen, ohne seine Last fallen zu lassen, obwohl die Schüler ihn verhöhnten und ständig anrempelten.
»Abstoßend, diese Haut!«
»Du solltest dich mal waschen!«
»Nâagas sind doch ohnehin nicht besser als Tiere.«
»Dann zieh ihm eins über!«
Sie ließen ihn all ihre Verachtung und Ablehnung spüren. Einer der Jungen versetzte dem jungen Sklaven einen Fausthieb mitten ins Gesicht. Der Nâaga wich nicht einmal aus. Stumm strebte er weiter vorwärts, so gut es eben ging. Kein einziger Passant reagierte. Die Menschen ringsum schienen das Verhalten der Schüler zu billigen und für völlig selbstverständlich zu halten. Überrascht stellte Laerte fest, dass er plötzlich an seinen Meister denken musste. Niemals hätte Dun geduldet, dass ein Schwächerer derart gedemütigt wurde.
Mit einem Mal fiel ihm auf, dass er noch wenige Stunden zuvor geglaubt hatte, mit seiner Idee gescheitert zu sein. Er hatte befürchtet, zu wenig gelernt zu haben, um dem Kaiser entgegenzutreten. Doch das stimmte nicht! Er war nicht gescheitert! Es war nur sein erster Versuch gewesen. Und er hatte es ihm ermöglicht, sich in die engste Umgebung des Unholds einzuschleichen. Genau genommen musste er nur noch eine weitere Stufe erklimmen, um sein Ziel zu erreichen.
Das aber, was er auf der langen Reise von den Salinen nach Emeris gelernt hatte, war keineswegs verloren.
»Der Kerl hat absolut nichts im Hirn!«, lachte ein Schüler und zeigte mit dem Finger auf den Nâaga. »Er ist ein echter Hohlkopf.«
»Los, verpass ihm einen Haken«, ermutigte ihn ein anderer.
Als ein dritter sich eben anschickte, dem Nâaga die nächste Kopfnuss zu versetzen, wurde sein Handgelenk von einer harten Faust festgehalten. Ehe sich der Junge umdrehen konnte, traf ihn ein Fuß in die Kniekehle. Der Schüler knickte ein. Erschrocken sahen seine Kameraden zu, wie Laerte mit einem gezielten Schwinger sein Kinn traf, ehe sie aus ihrer Starre erwachten und sich auf den Neuzugang stürzten. Schnell kamen andere Schüler hinzu. Laerte verteidigte sich, so gut es ging, doch sie waren in der Überzahl. Schon bald ging er zu Boden und krümmte sich unter einem Hagel aus Fäusten und Fußtritten.
Laerte ertrug den Schmerz und die Demütigung. Der Nâaga konnte sich in Sicherheit bringen. Und dort, inmitten einer Horde Mitschüler, die erbittert auf ihn einprügelten, gewann er eine unerschütterliche Freundschaft.
Die folgenden Tage, Monate und schließlich Jahre festigten die Verbindung zwischen Laerte und dem Nâaga. Laerte schaffte es nie, sich in der Akademie zu integrieren. Er war anders als die anderen Schüler, und viele von ihnen verbargen ihre Eifersucht unter verächtlichem Gehabe. Sie waren neidisch auf ihn, und hassten ihn, doch sie fürchteten ihn auch. Immerhin war er der Einzige von ihnen, der schon einmal in einer echten Schlacht gekämpft hatte, und das an der Seite der ruhmreichsten Ritter des Kaiserreichs.
Mit sechzehn kehrte Laerte vom Vershan zurück, wo die Armee am Fuß der Berge einen schmerzhaft erkauften Sieg errungen hatte. Es war bereits das dritte Mal, dass er nach Emeris zurückkam, ohne dass sich eine Gelegenheit ergab, dem Kaiser gegenüberzutreten. Der Fortgang des Kriegs ließ seine Rachegelüste allmählich versiegen. Er vergaß sie zwar nicht, aber es gab anderes, das ihn stärker beschäftigte.
Auch Esyld hatte Zuflucht in der Kaiserstadt gefunden. Sie arbeitete als Dienerin bei einer Adelsfamilie im
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