Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
nicht überlebt. Aber du hättest in die Salinen zurückkehren sollen. Hier ist es viel zu gefährlich.«
Sie hatten schon öfter über dieses Thema gesprochen, aber Laerte hatte nie mit sich reden lassen. Immer musste er an seine Besuche in Guet d’Aëd denken, wo alle Leute von ihm sprachen. Aber den Laerte aus ihren Berichten kannte er nicht. Seit jenem Tag war sein Vertrauen zu Meurnau erschüttert.
»Meurnau hat mich zu einem Symbol stilisiert«, wandte er ein. »Lebend würde ich ihm gar nichts nützen. Er führt seinen eigenen Aufstand. Im Gegensatz dazu bin ich hier in Sicherheit. Dun kümmert sich gut um mich, und ich habe viel von ihm gelernt.«
»Vor einem Jahr hast du ihn noch gehasst«, entgegnete Esyld mit leisem Lachen.
Sie machte sich über ihn lustig. Aber konnte er wirklich leugnen, dass er seine Ansicht über seinen Meister in gewisser Weise geändert hatte? Manchmal verteidigte er ihn sogar.
»Das tue ich immer noch. Ich bediene mich seiner nur, bis ich stark genug bin, den Kaiser zu töten.«
»Den Kaiser töten«, seufzte sie. »Nun gut, dann lass dich nicht aufhalten, wenn du von deinem geliebten General so viel gelernt hast.«
Sie musterte ihn mit einem schrägen Blick, als hätte er etwas verbrochen. Dass sie ihn so abwehrte, ohne dass er den Grund dafür verstand, machte ihn sprachlos.
»Esyld …«
»Geh nur. Tu, was du nicht lassen kannst!«
»Aber ich bin noch nicht bereit«, gestand er. »Bald werde ich so weit sein, das verspreche ich dir. Meine Tat wird diesen ungerechten Krieg beenden, meine Familie rächen und …«
»Du bist also noch immer nicht erwachsen geworden«, schnitt sie ihm das Wort ab.
Sie wandte sich zum Fenster und hob dabei mit beiden Händen würdevoll ihren Rocksaum.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte Laerte erschrocken.
Noch nie hatte er Esyld so erlebt.
»Was mit mir los ist?«, wiederholte sie kühl. »Mit mir ist los, dass mein Vater seinen Hals riskiert, um das Überleben der Ideen Oratio von Usters zu gewährleisten. Um zu erreichen, dass sich der Adel dem Aufstand anschließt, damit Emeris irgendwann fällt. Mit mir ist los, dass der Galgen jeden Tag ein Stück näher kommt. Irgendwann fliegt mein Vater auf, Laerte. Aber daran denkst du nicht. Für dich zählt nur deine Rache.«
Tränen standen in ihren Augen.
»Aber für uns geht es hier um Kopf und Kragen. Jeden Tag werden Flüchtlinge aus den Salinen verhört. Jeden Tag werden Adlige vor den Kaiser zitiert. Einige sind bereits verschwunden. Man munkelt, dass die Hand des Kaisers damit zu tun hat. Man erzählt sich auch, dass dieser Assassine unsterblich ist, dass er alle Reyes beschützt hat und dass er auch diesem Kaiser dient, indem er alle tötet, die sich gegen ihn verschwören. Wie wird mein Vater sterben, Laerte? Sag es mir. Am Galgen? Oder niedergeknüppelt wie ein räudiger Hund, während du den Aufstand bekämpfst? Einen Aufstand, der den Namen Laerte von Uster in den höchsten Himmel erhebt. Manchmal frage ich mich, welchem Lager du wirklich angehörst …«
»Es ist nicht leicht für mich, Esyld. Ich …«
Er dachte an die vergangenen Schlachten. Hatte er sich je gefragt, wen er da bekämpfte? War ihm seit Madogs Tod je bewusst geworden, dass er jene tötete, die den Traum seines Vaters verteidigten? Den Traum, dass das Volk eines Tages sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen durfte?
»Nein, leicht ist es sicher nicht«, entgegnete Esyld. »An dem Tag, an dem du versuchst, den Kaiser zu töten, wie du es dir erträumst, wirst auch du der Hand zum Opfer fallen.«
Diese Hand hatte ihm schon einmal den Weg versperrt. Sein Stolz hatte ihm nicht gestattet, ihr von diesem Ereignis zu erzählen, das er als eigenes Versagen betrachtete. Esyld sollte ihn bewundern, nicht bemitleiden.
»Vielleicht fällt dir dann wieder ein, wer du wirklich bist. Denn in diesem Augenblick steht nicht Laerte vor mir, sondern Grenouille.«
Dieser Satz genügte, um ihm seine übliche Schüchternheit zu nehmen. Er riss sie an sich und zwang ihre Hand in seine Hosentasche.
»Ich bin sowohl der eine als auch der andere, Esyld. Aber das ändert nichts. Ich glaube kaum, dass ich je vergesse, woher ich komme und wer ich bin.«
Er zwang sie, tief in seine Tasche zu greifen, und zog ihre Hand dann wieder heraus. In ihren schlanken Fingern hielt sie ein kleines Holzpferd, dessen Anblick ihr Tränen in die Augen trieb.
»Ich habe es nie vergessen!«
Langsam steckte sie das Spielzeug wieder in seine
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