Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
nicht allein an seinen eigenen Schmerzen lag. Er musste auch die des Drachen ertragen.
Ein Blutfaden lief aus seinem rechten Nasenloch. Alles schien sich um ihn zu drehen. Das Licht des Mondes blendete wie eine Sonne.
Erschöpft lockerte er seinen Griff. Er konnte den Drachen nicht halten. Es war unmöglich. Sein Herz raste so sehr, dass er kaum noch Luft bekam.
Aufgeben? Nein! Nicht jetzt und nicht hier.
Langsam wich er zurück, zog die geballten Fäuste an den Körper, sammelte noch einmal alle Kraft, biss die Zähne zusammen und beugte erneut die Knie.
Plötzlich setzte sein Herz aus. Alles um ihn wurde schwarz.
Und still. Nur ein paar Sekunden lang, vielleicht eine Minute.
Als das Bild des ausgetrockneten Bachbetts wiederkehrte, dachte er nicht lange nach. Mit einer heftigen Bewegung riss er die Fäuste in Richtung Boden.
Der Drache brüllte auf, taumelte, stürzte und schlug in einer Wolke aus Schnee und zerbrochenen Steinen auf. Auch Laerte ließ sich fallen. Er war zu Tode erschöpft. Ihm war, als wäre ein wildes Pferd über ihn hinweggetrampelt. Ausgestreckt auf den kalten Steinen beobachtete er mit halb geschlossenen Augen den verletzten Drachen. Seine gelben Augen verloren ihr Leuchten, die Lider wurden schwer und bedeckten die Iris. Aus seinen Nüstern drang in Abständen grauer Rauch. Er sah unendlich müde aus. Langsam wurde der Junge kühner.
»Das ist es, nicht wahr? Du beschützt dein Nest.«
Er sah die Eier am Höhleneingang so klar wie am hellen Tag. Das war also die Angst, die er in dem Tier gespürt hatte. Deshalb hatte es die Schlacht verlassen und war ihm gefolgt, als er den Abhang hinunterstürzte. Und diese Angst hatte sich auch Stromdag zunutze gemacht, um den Drachen gegen das Kaiserreich zu hetzen – indem er sein Territorium verletzte. Hinkend ging Laerte auf den Drachen zu. Das Tier rührte sich nicht. Er hatte seine Niederlage akzeptiert.
»Du wolltest nur deine Familie beschützen.«
Sanft legte Laerte seine behandschuhte Hand zwischen die rauchenden Nüstern und ließ sie bis unter das gelbe, schwarz geschlitzte Auge gleiten. Der Drache schien ihn traurig zu beobachten. Wie hätte er ihn töten können? Welches Recht hatte er, ihn umzubringen?
In einer Ecke entdeckte er einen Haufen Knochen. Dazwischen lag ein milchweißes Horn, das ebenso wuchtig war wie die auf dem Schädel des verletzten Drachen.
Langsam schloss das Tier die Augen.
Als es sie wieder öffnete, war Laerte fort.
7
ESYLD
Wer bringt mein Herz zum Klopfen?
Wer zum Bluten? Wer zerbricht es?
Und wer hält es fest?
N achdem sein Vater gestorben war, hatten die rauschenden Feste und Gelage deutlich zugenommen. Einige Leute sahen darin einen Ausdruck seiner Trauer, andere hingegen vermuteten eher eine gewisse Erleichterung, endlich keine elterlichen Vorwürfe mehr hören zu müssen. Alles, was bei Hof Rang und Namen hatte, ließ sich gern von ihm in seine weitläufigen Gemächer einladen, wo man bei Wein, Weib und Gesang den Aufstand vergessen und herumhuren konnte, wo und mit wem man wollte. War man erst einmal ordentlich betrunken, zählte ohnehin kein Titel mehr.
Tagsüber zerriss man sich das Maul über Herzog De Page und bezeichnete ihn als unmoralischen Zeitgenossen, nachts jedoch schmeichelte man ihm nur allzu gern, um an seinen Orgien teilhaben zu dürfen. Niemand hieß die Vielweiberei des Herzogs gut, aber alle Welt riss sich um eine Einladung zu einer seiner Schwelgereien. Er organisierte die verrücktesten Feste der Stadt und galt als Genussmensch und Späßetreiber.
Bei einem Privatfest zeigte sich der grazile Mann in einer schwarzen Lederweste mit gebauschten Ärmeln über einem makellos weißen Hemd. Eine mit Spitzen besetzte Maske bedeckte sein Gesicht, aber jedem, der genauer hingeschaut hätte, wären seine braunen Augen aufgefallen, die neugierig von einem Paar zum anderen schweiften. Seine Gäste lachten und amüsierten sich. Alle tranken und waren fröhlich.
Von einem benachbarten Zimmer aus hörte Laerte den fidelen Lärm. Die Erinnerung an Kapernevic war noch so frisch, dass er gegenüber den Gästen des Herzogs ausgeprägte Abscheu empfand. Er verstand nicht, warum man ausgerechnet jetzt heimlich nach ihm geschickt hatte, aber Rogant schien sein Treffen mit dem Herzog für außerordentlich wichtig zu halten.
Der Nâaga lehnte mit verschränkten Armen am Türpfosten und musterte seinen Freund. An seinem Gürtel hing ein Dolchfutteral. Offenbar nahm er seinen Status als
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