Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
General? Glaubt Ihr allen Ernstes, dass ich Euch ins Gefängnis bringe, damit Ihr endlich redet?«
»Das wäre doch immerhin möglich.«
»Es wäre nur dumm von mir.«
»Seht ihr, auch das wäre möglich«, höhnte Dun.
In der Bucht lagen große Schiffe vor Anker und schaukelten sanft in der Dünung. Einem der stolzen Segler entstieg ein Geleittrupp Soldaten. Sie waren in rote und himmelblaue Harnische gewandet, hielten Hellebarden in den Händen und hatten ihre Schwerter umgegürtet. Zwei leichter bewaffnete Garden trugen Standarten in den Farben der Neuankömmlinge vor dem Zug her. Die ersten Ratsherrn trafen ein.
Dun stellte fest, dass tatsächlich stimmte, was er schon so oft gehört hatte: Einige der Herren waren ihm durchaus bekannt. Er blieb stehen. Viola war noch immer bei ihm.
»Warum sollte ich Euch denunzieren?«, flüsterte sie ihm zu. »Ihr seht ja selbst, dass es Männer gibt, die viel mehr Gewinn aus dem Kaiserreich geschlagen haben als Ihr, es im Gegenzug aber nie verteidigt haben und sich heute als Vertreter des Volkes feiern lassen.«
Es waren vier, meist vom Alter zerfurchte Würdenträger in weiten, roten, mit goldenen Lilien bestickten und hellem Pelz besetzen Mänteln. Drei der vier erkannte Dun sofort. Der Herzog von Azbourt, ein grausamer Mensch mit faltigem Gesicht, der trotz seines hohen Alters noch immer wuchtig wirkte, hatte sich lange Zeit in seinem Herzogtum im Norden verschanzt und allen Gunstbeweisen des Kaisers verschlossen. Der Marquis von Enain-Cassart war ein kleiner Mann mit Piepsstimme und einer gepuderten Perücke über einem lächelnden Gesicht. Er bewegte sich mit einem Gehstock vorwärts. Bis zum bitteren Ende war er im Palast von Emeris geblieben und hatte dem Kaiser dort treu zur Seite gestanden. Was mochte er geboten haben, um als Ratsherr für seine Region aufgestellt zu werden? Dun war sicher, dass Enain-Cassart seinen heutigen Rang seinem immensen Reichtum zu verdanken hatte. Der nächste Würdenträger war ein unbekannter, sehr viel jüngerer Mann, der eine dünne Narbe unter dem linken Auge hatte und zweifellos mit den beiden ersten Herren in Verbindung stand. Und dann folgte der letzte. Dun nickte mit zusammengepressten Lippen.
»Ich weiß nicht, ob Ihr ihn noch einmal wiedergesehen habt, nachdem er Euch in den Salinen im Stich gelassen hat«, sagte Viola. »Aber tatsächlich ist es so, dass Etienne Azdeki unter den Räten eine der hervorstechendsten Persönlichkeiten ist. Zur Nacht der Masken kommen natürlich noch andere Ratsherrn. Das Volk hat einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit gezogen – warum sollte es das bei Euch nicht ebenso tun?«
Sie ging neben ihm weiter und blickte über die Menschenmenge hinweg, die sich um den kleinen Geleitzug versammelt hatte. Dun hatte sich nie für die Republik interessiert. Er hegte nur den Wunsch, die Welt um sich herum zu vergessen, und hoffte, dass es der Welt mit ihm ebenso erging. Nachdem er den Kaiser persönlich gekannt hatte, spielten die heutigen Politiker für ihn keine Rolle mehr. Er lebte in einer anderen Welt. Und doch waren aus der Asche des Kaiserreichs einige ihrer früheren Getreuen wiederauferstanden.
»Meinen Glückwunsch, Herr General. Euch wird soeben bewusst, dass es auf dieser Welt nicht nur Schwarz oder Weiß gibt.«
Aber Dun war nicht mehr ganz bei der Sache. Irgendetwas stimmte hier nicht. Es war nur ein vages Gefühl, aber er spürte, wie sich eine unterschwellige Angst in ihm breitmachte. »Hört mit diesen dummen Anspielungen auf«, herrschte er die junge Frau an.
»Oh, ich kann durchaus auch ironisch sein. Und ich habe Euch gegenüber ein Ass im Ärmel.«
»Das da wäre?«
»Erstens stinke ich nicht nach Schweiß, und zweitens bin ich hübsch.«
Unwillkürlich musste Dun lächeln, obwohl sein ungutes Gefühl immer stärker wurde. Hier braute sich etwas zusammen, dessen war er sich ganz sicher. Violas zarter Lavendelduft konnte ihn nur kurz beruhigen. Und was ihr Aussehen betraf – nun, damit lag sie durchaus richtig.
»Ich habe wirklich keine bösen Absichten, General. Ganz bestimmt nicht.«
Sie wandte ihm ihre schönen grünen Augen mit den langen Wimpern zu, denen die Brille nichts von ihrem Zauber nahm. Wie hätte er diesem Charme und der verhaltenen Kraft widerstehen können? Er hatte den Eindruck, dass sie seine Seele streichelte, als wollte sie einen alten Wolf beschwichtigen. Natürlich gefiel ihm das. Er ertappte sich sogar bei dem Gedanken, die Kleine könne
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