Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
verließ die Straße der Händler und begab sich auf einen kleinen, weiß und rot gepflasterten Platz, in dessen Mitte ein ausgetrockneter Brunnen stand. Hier, inmitten bürgerlicher Häuser mit wunderhübsch blühenden Balkonen, befand sich die Villa, in der sie Dun-Cadal am Vorabend abgeliefert hatte. Sie war auch am helllichten Tag leicht wiederzuerkennen, denn hier waren die Vorhänge auch tagsüber geschlossen, und vor der Tür schlenderten junge Frauen mit entblößten Schultern hin und her. Ihre langen Kleider reichten bis zu ihren nackten Füßen, und feine, bunte Stoffe schmiegten sich an ihre Rundungen. Sie verkauften ihre Reize an den Meistbietenden. Aber sie entstammten einer guten Schule. Hier und da wurde gemunkelt, dass Mildrel eine der berühmtesten Kurtisanen des Kaiserreichs gewesen war, der man in der süßen Wärme ihres Alkovens Geheimnisse anvertraut und deren Ratschlägen man sich gefügt hatte.
Viola schob mit dem Zeigefinger ihre Bille hoch, ehe sie sich auf den Brunnenrand setzte. Über dem Becken erhob sich ein kleiner Engel mit ausgebreiteten Flügeln und einem angehobenen Knie, der aussah, als wollte er wegfliegen. Aufmerksam beobachtete sie die Passanten – Händler, die in Masalia Geschäfte machen wollten, schmutzbedeckte Reisende, die müde ihre Reittiere hinter sich herzogen, oder friedlich plaudernde Nâagas mit muskulösen Oberkörpern. Und irgendwann entdeckte sie die vertraute Gestalt eines schlecht rasierten alten Ritters.
Dun trat aus Mildrels Haus und hob zum Schutz gegen der Sonne die Hand über die Augen. In der anderen hielt er einen Apfel, von dem er herzhaft abbiss. Zwei der Mädchen, die vor dem Haus auf und ab gingen, begrüßten ihn freundlich, eine hauchte ihm gar einen Kuss auf die Wange. Er blinzelte ins helle Licht und ging weiter.
»Ich hatte schon befürchtet, dass Ihr nie mehr aus diesem Haus kommen würdet«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Er blickte sich um. Hinter ihm ging Viola. Sie hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt. Zwei vorwitzige Strähnen tanzten vor ihren kleinen Ohren. Die junge Frau mit den roten Haaren würde ihn also nicht in Ruhe lassen. Er musterte sie von oben bis unten und verzog das Gesicht.
»Ihr schon wieder!«, stellte er mit brüchiger Stimme fest.
»Habe ich Euch gefehlt?«, spottete sie und wippte auf und nieder wie ein Kind. »Dabei hattet Ihr diese Nacht doch sicher jede Menge weibliche Gesellschaft.«
Grummelnd ging Dun-Cadal weiter. Viola überholte ihn und baute sich vor ihm auf.
»Ihr seid heute Morgen genauso höflich wie gestern«, sagte sie ironisch.
»Wo ist denn Euer Wilder? «, stichelte Dun. »Hat er heute keine Zeit, weil er sich irgendwelche Scheußlichkeiten ins Gesicht malen muss?«
»Oh, nur für den Fall, dass Ihr ihn vermisst: Ihr werdet ihn schon bald wiedersehen.«
»Auf den Kerl kann ich gut verzichten.«
Er beschleunigte sein Tempo und biss nervös in seinen Apfel. Er konnte es nicht leiden, gleich nach dem Aufstehen gestört zu werden. Sein Schädel pochte, und der Lärm von Masalia machte ihm seinen Kater nicht leichter. Mit den Schultern bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Viola folgte ihm auf dem Fuß.
»Seid Ihr gekommen, um mich zu bedrohen?«, maulte er.
»Euch zu bedrohen? Womit denn?«
»Nun, seit Ihr wisst, wer ich bin …«
»Ich habe nicht das geringste Interesse daran, Euch auf der Anklagebank zu sehen«, schnitt ihm Viola das Wort ab.
»Trotzdem helfe ich Euch nicht, das Schwert zu finden.«
»Aber es ist eine historische Waffe!«
»Zeuge einer längst überholten Geschichte.«
Am Ende der Straße tanzten die Masten der im Hafen vor Anker gegangenen Schiffe. Menschenmassen wälzten sich in ihre Richtung. Dun, der dem Gewimmel entfliehen und endlich wieder in aller Ruhe vor einem Becher Wein sitzen wollte, bog nach rechts ab. Am Eingang der Gasse stand ein tätowierter Koloss mit verschränkten Armen und lächelte ihn an, doch sein Blick strafte die aufgesetzte Freundlichkeit Lügen.
»Ich hatte Euch ja gesagt, dass Ihr Rogant wiedersehen würdet«, raunte Viola hinter ihm.
Dun wandte sich um und beschloss, lieber doch zum Hafen hinunterzugehen. Nur mit Mühe schaffte es Viola, an seiner Seite zu bleiben.
»So wartet doch auf mich!«, rief sie.
»Warum sollte ich das tun?«, fragte er mit harter Stimme. »Ihr wollt mir doch ohnehin nur die Garden der Republik auf den Hals hetzen.«
»Wann begreift Ihr endlich, dass der Bürgerkrieg vorbei ist,
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