Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Lebewesen, denen man Respekt zu schulden hatte.
»Wo hast du denn diesen Blödsinn aufgeschnappt?«
Grenouille verzog das Gesicht.
»Die Nâagas sind ein unzivilisiertes Volk«, schimpfte Dun. »Sie glauben nicht nur an die Macht der Drachen, sondern auch, sich die Kraft von Menschen einverleiben zu können, indem sie nach ihren Stammeskriegen ihre Gefangenen essen. Eigentlich sind sie auch nur Tiere, genau wie die Drachen. Vergiss das nie. Und im Übrigen ist dieser rote Drache nicht unsere Angelegenheit. Er verhält sich aggressiv, weil er zwischen Stromdag und uns eingekeilt ist. Sobald der Krieg zu Ende ist, verkriecht er sich wieder, das kannst du mir glauben. Und hat er Kapernevic je angegriffen? Nein. Nicht ein einziges Mal. Die Leute reden über ihn, weil … sie sich wichtigmachen wollen. Und die Gefahr liegt ausschließlich darin, dass Krieg herrscht. Außerdem können wir nicht hierbleiben, das weißt du sehr gut.«
»Warum?«, fragte Grenouille aufsässig. »Ihr seid General, und ich kann kämpfen. Wir haben schon viele Schlachten gewonnen.«
»Aber auch verloren.«
»Selten. Ihr und ich – wir beide haben den Verlauf dieses Kriegs schon oft beeinflusst.«
»Willst du tatsächlich der Leute wegen hierbleiben und kämpfen?«
»Ihr wollt mich nicht verstehen«, flüsterte Grenouille niedergeschlagen.
Endlich kam das Schankmädchen an den Tisch, stellte einen Becher vor Dun und schenkte ein. Er bedeutete ihr, gleich den ganzen Krug dazulassen. Ein einziger Becher würde ihm heute nicht genügen.
Sie räumte Grenouilles Teller ab, dessen Blick sich unrettbar in ihrem schwindelerregenden Ausschnitt verfing. Dun musste ein Schmunzeln verbergen.
Nein, Grenouille war wirklich kein Kind mehr. Als das Schankmädchen verschwunden war, blickte Dun ihm ins Gesicht.
»Da, an der Seite«, sagte er und zeigte auf seinen Mundwinkel.
»Was denn?«
»Du sabberst.«
Grenouille konnte nicht über den Scherz lachen. Beinahe hätte er sich gar brav den Mund abgewischt. Verdrossen nickte er und steckte das kleine Holzpferd in die Tasche seines Lederwamses.
»Dieses Mädchen, mit dem du dich in Emeris manchmal triffst – du liebst sie, nicht wahr?«
Grenouille sah ihm für eine Sekunde gerade in die Augen, ehe er seinen Becher hastig leerte.
»In Emeris bleibt eben nichts verborgen«, fügte Dun amüsiert hinzu. »Es ist dasselbe Mädchen, das du auch nach unserer Flucht in Garmaret getroffen hast, richtig? Sie stammt ebenfalls aus den Salinen. Kanntest du sie schon vorher?«
»Das geht Euch überhaupt nichts an«, entgegnete Grenouille unfreundlich, sprang auf, durchquerte den Schankraum und ließ die Tür hinter sich unsanft ins Schloss fallen.
Nachdenklich stürzte Dun den Inhalt seines Bechers in einem Zug hinunter. Der Wein kitzelte ihn in der Kehle und verbreitete eine angenehme Wärme in seinem Innern. Er setzte den Becher ab, überlegte, ob er sich noch einmal einschenken sollte, entschied sich dagegen und verließ ebenfalls den Gastraum.
Grenouille lehnte mit verschränkten Armen und tief ins Gesicht gezogener Kapuze auf der Vortreppe an der Hauswand. Dun wartete eine Weile, ehe er die Treppen hinunterging und sich durch den knirschenden Schnee arbeitete. Der Mond stand voll und hoch am Himmel. Bläulich angestrahlt, lag das Dorf in tiefem Schlaf. Auf einem der Wachtürme patrouillierten die Wachen mit einer Fackel.
»Ich erinnere mich meiner ersten großen Liebe noch sehr gut«, sagte er leise, als spräche er zu sich selbst. »Damals war ich kaum älter als du jetzt. Ich erinnere mich, wie sehr mich nach ihr verlangte …« Er drehte sich zu Grenouille um. »Wie ist es nur möglich, dass ein Gefühl einem solche Bauchschmerzen verursacht?«, fuhr er nachdenklich fort.
Aber Grenouille blieb stumm. Dun überlegte, was er eigentlich von dem Jungen erwartete. Dass er seine Zunge löste und ihm alles erzählte? Oder ihn gar tröstete? Und wer weiß – vielleicht hatte Negus ja tatsächlich recht, und in Emeris gab es Verräter. Vielleicht bediente sich die junge Frau aus den Salinen der Unschuld Grenouilles? Sofern er überhaupt noch unschuldig war.
Plötzlich fasste er einen Entschluss. »Weißt du was? Wir bleiben morgen noch hier und unterstützen Negus bei einem Ausfall gegen die Aufständischen unter der Leitung von Stromdag.«
Grenouille löste sich von der Mauer und ließ verblüfft die Arme hängen. Den wahren Grund für Duns Stimmungsumschwung ahnte er nicht, doch sein Meister war sich
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