Der Pfad im Schnee
die Brüder kamen, vor mir auf die Knie fielen und baten, bei mir bleiben zu dürfen, bedeutete mir sehr viel, weitaus mehr, als sie annahmen. Es zeigte, dass die besten der Otori Shigeru nicht vergessen hatten. Sie brachten dreißig Männer mit und, ebenso willkommen, Neuigkeiten aus Hagi.
»Shoichi und Masahiro wissen, dass du zurückgekehrt bist«, erzählte mir Kahei. Er war einige Jahre älter als ich und hatte Kriegserfahrung, weil er mit vierzehn in Yaegahara gewesen war. »Aber sie nehmen es nicht sehr ernst. Sie glauben, dass ein schnelles Gefecht genügt, dich zu verjagen.« Er grinste. »Ich will dich nicht beleidigen, aber sie vermitteln den Eindruck, dass du ein ziemlicher Schwächling bist.«
»Nur so haben sie mich gesehen«, gab ich zurück. Ich erinnerte mich an Iidas Gefolgsmann Abe, der das Gleiche gedacht hatte und von Jato eines Besseren belehrt worden war. »In manchem haben sie Recht. Es stimmt, dass ich jung bin und Krieg nur in der Theorie kenne, nicht in der Praxis. Aber ich habe das Recht auf meiner Seite und erfülle Shigerus Wunsch.«
»Die Leute sagen, du seist vom Himmel gesegnet«, sagte Gemba. »Du hättest Kräfte, die nicht von dieser Welt sind.«
»Darüber wissen wir Bescheid!«, sagte Kahei. »Erinnerst du dich an den Kampf mit Yoshitomi? Aber er meinte, die Kräfte kämen aus der Hölle, nicht vom Himmel.«
Ich hatte gegen Masahiros Sohn einen Kampf mit einem Holzschwert ausgefochten. Er war damals ein besserer Schwertkämpfer als ich, aber ich hatte andere Fähigkeiten, die er für Mogelei hielt, und ich hatte sie gebraucht, damit er mich nicht tötete.
»Haben sie mein Haus und Grundstück in Besitz genommen? Ich habe gehört, sie hätten es vor.«
»Noch nicht, weil dein alter Lehrer Ichiro sich geweigert hat, beides zu übergeben. Er hat ihnen klar gemacht, dass er nicht kampflos nachgeben wird. Die Lords zögern, einen Streit mit ihm und Shigerus - deinen - restlichen Männern auszutragen.«
Erleichtert hörte ich, dass Ichiro noch lebte. Ich hoffte, er würde die Stadt bald verlassen und zum Tempel kommen, wo ich ihn beschützen konnte. Seit dem Tauwetter hatte ich ihn täglich erwartet.
»Außerdem sind sie sich der Stadtbewohner nicht sicher«, warf Gemba ein. »Sie wollen niemanden provozieren. Sie fürchten einen Aufstand.«
»Schon immer haben sie es vorgezogen, im Geheimen zu intrigieren«, sagte ich.
»Das nennen sie Verhandlungen«, sagte Kahei trocken. »Haben sie versucht, mit dir zu verhandeln?«
»Ich habe nichts von ihnen gehört. Außerdem gibt es nichts zu verhandeln. Sie waren für Shigerus Tod verantwortlich. Sie haben versucht, ihn in seinem eigenen Haus zu ermorden, und als das fehlschlug, haben sie ihn Iida ausgeliefert. Ich kann mit ihnen keine Abmachung treffen, selbst wenn sie es anbieten sollten.«
»Wie wird deine Strategie aussehen?« Kahei kniff die Augen zusammen.
»Ich kann die Otori in Hagi nicht angreifen. Ich würde viel mehr Mittel brauchen, als ich jetzt habe. Ich denke, ich muss mich an Arai wenden… aber ich werde nichts tun, bevor Ichiro hier ist. Er sagte, er würde kommen, sobald die Straße frei sei.«
»Schick uns nach Inuyama«, sagte Kahei. »Die Schwester unserer Mutter ist mit einem von Arais Gefolgsleuten verheiratet. Wir können herausbekommen, ob sich Arais Einstellung zu dir über den Winter verändert hat.«
»Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werde ich das tun«, versprach ich, froh über die Möglichkeit, indirekt an Arai heranzukommen. Ich sagte weder ihnen noch sonst jemandem, was ich bereits beschlossen hatte: zuerst zu Kaede zu gehen, wo sie auch sein mochte, und sie zu heiraten und dann mit ihr die Ländereien von Shirakawa und Maruyama zu übernehmen, wenn sie mich noch haben wollte, wenn sie nicht schon verheiratet war…
Mit jedem Frühlingstag wuchs meine Unruhe. Das Wetter war unbeständig, strahlende Sonne an einem Tag, eisige Winde am nächsten. Die Pflaumenbäume blühten in einem Hagelsturm. Sogar als die Kirschknospen schwollen, war es noch kalt. Doch überall gab es Anzeichen des Frühlings, vor allem, so kam es mir vor, in meinem Blut. Durch die disziplinierte Lebensweise im vergangenen Winter war ich körperlich und geistig in besserer Verfassung denn je. Matsudas Unterricht, seine beständige Zuneigung, das Wissen um meine Otoriabstammung hatten mir neues Selbstvertrauen gegeben. Ich war weniger geplagt durch mein gespaltenes Wesen, weniger gequält durch widersprüchliche
Weitere Kostenlose Bücher