Der Pfad im Schnee
er ihren Eid geschworen hatte, nie wieder zu töten.
»Ich weiß es«, entgegnete Jo-An.
»Ich werde sie alle brauchen, wenn ich tun soll, was du von mir erwartest.«
»Der Stamm besteht aus Kindern des Teufels«, murmelte er und fügte wie schon einmal schnell hinzu: »Aber Ihr Fall ist anders, Lord.«
Daran erkannte ich, welche Risiken er für mich einging; nicht nur menschliche Gewalten drohten ihm, sondern auch übernatürliche. Durch mein Stammesblut musste ich in seinen Vorstellungen so gefährlich sein wie ein Kobold oder ein Flussgeist. Ich war wieder überrascht von der Stärke der Überzeugungen, die ihn trieben, und von der Rückhaltlosigkeit, mit der er sich mir ausgeliefert hatte.
Der Brandgeruch wurde stärker. Ascheflocken fielen auf unsere Kleider, auf die Haut und erinnerten mich drohend an Schnee. Der Boden sah grau aus. Der Pfad führte auf eine Lichtung mit mehreren Feuerschächten, die mit feuchter Erde und Torf bedeckt waren. Nur in einem brannte es noch, rot glühte es hinter den Spalten. Drei Männer waren damit beschäftigt, die kalten Schächte abzubauen und die Holzkohle zu bündeln. Ein anderer kniete an einer Feuerstelle, wo ein dampfender Kessel von einem Dreifuß hing. Vier Männer sah ich, doch immer noch hatte ich das Gefühl, es müssten fünf sein. Hinter mir hörte ich einen schweren Schritt und das unwillkürliche Atemholen, das einem Angriff vorausgeht. Ich stieß Jo-An zur Seite und fuhr herum zu dem, der versuchte, uns zu überfallen.
Er war der größte Mann, den ich je gesehen hatte, die Arme hatte er bereits ausgestreckt, um uns zu packen. Eine Hand war riesig, die andere nur ein Stumpf. Wegen dieses Armstumpfs zögerte ich, ihn noch mehr zu verletzen. Ich ließ mein Ebenbild auf dem Pfad zurück, schlüpfte hinter ihn, rief ihn an, damit er sich umdrehte, und hielt dabei das Messer so, dass er die Klinge, die drohte, ihm die Kehle durchzuschneiden, deutlich sehen konnte.
Jo-An rief: »Ich bin es, du Dummkopf! Jo-An!«
Der Mann am Feuer lachte laut auf, und die Köhler kamen angerannt.
»Tun Sie ihm nichts, Herr«, riefen sie mir zu. »Er meint es nicht böse. Sie haben ihn überrascht, das ist alles.«
Der Riese hatte die Arme gesenkt und machte mit der einen Hand eine unterwürfige Geste.
»Er ist stumm«, erklärte mir Jo-An. »Aber selbst mit einer Hand ist er so stark wie zwei Ochsen und er ist ein fleißiger Arbeiter.«
Die Köhler fürchteten offensichtlich, dass ich einen ihrer Besten bestrafen würde. Sie warfen sich mir zu Füßen und flehten um Gnade. Ich sagte ihnen, sie sollten aufstehen und ihren Riesen unter Kontrolle halten.
»Ich hätte ihn töten können!«
Sie standen alle auf, hießen uns willkommen, schlugen Jo-An auf die Schulter, verbeugten sich wieder vor mir und forderten mich auf, mich ans Feuer zu setzen. Einer von ihnen goss Tee aus dem Kessel ein. Ich hatte keine Ahnung, woraus er gemacht war; er schmeckte anders als alles, was ich je getrunken hatte, aber er war heiß. Jo-An nahm sie zur Seite, sie steckten die Köpfe zusammen und führten ein geflüstertes Gespräch, von dem ich jedes Wort verstand.
Jo-An sagte ihnen, wer ich war, was zu erstaunten Ausrufen und noch mehr Verbeugungen führte, und dass ich so bald wie möglich in Terayama sein musste. Die Männer stritten ein wenig über den sichersten Weg und ob es besser sei, sofort aufzubrechen oder bis zum Morgen zu warten, dann kamen sie zurück ans Feuer, setzten sich in einen Kreis und starrten mich an, die Augen leuchteten in ihren dunklen Gesichtern. Sie waren mit Ruß und Asche bedeckt und kaum bekleidet, doch anscheinend bemerkten sie die Kälte nicht. Sie redeten als Gruppe und schienen wie eine Gruppe zu denken und zu fühlen. Ich stellte mir vor, dass sie hier im Wald ihren eigenen Regeln folgten und wie Wilde lebten, fast wie Tiere.
»Sie haben nie zuvor mit einem Lord gesprochen«, sagte Jo-An. »Einer von ihnen möchte wissen, ob Sie der Held Yoshitsune sind, der vom Festland zurückgekehrt ist. Ich habe ihnen erklärt, dass Sie zwar über die Berge wandern wie Yoshitsune und dass alle Männer Sie verfolgen, dass Sie aber ein noch größerer Held sein werden; er hat nämlich versagt, Ihnen jedoch wurde von Gott Erfolg versprochen.«
»Wird der Lord uns erlauben, Holz zu fällen, wo wir wollen?«, fragte einer der Älteren. Sie redeten nicht direkt mit mir, sondern richteten alle ihre Äußerungen an Jo-An. »Es gibt viele Teile des Waldes, in die wir nicht mehr
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