Der Pfad im Schnee
Überzeugung, dass da jemand tatsächlich gar nicht weit von mir atmete.
Direkt unter dem schmalen Übergang fiel der Fluss etwa weitere drei Meter herab in eine Reihe tiefer Teiche. Ich bemerkte eine plötzliche Bewegung und sah, dass ein Reiher, fast ganz weiß, in einem davon fischte, ohne auf den Schnee zu achten. Es war wie ein Zeichen - das Symbol der Otori an der Grenze des Otorilehens -, vielleicht eine Botschaft von Shigeru, dass ich endlich die richtige Wahl getroffen hatte.
Der Reiher war auf der gleichen Flussseite wie ich und arbeitete sich am Teich entlang zu mir vor. Ich fragte mich, was er zu fressen fand mitten im Winter, wenn Frösche und Kröten sich im Schlamm versteckten. Er wirkte gelassen und furchtlos, überzeugt, dass ihn an diesem einsamen Ort nichts bedrohte. Während ich ihn beobachtete, mich ebenso sicher fühlte und mir vorstellte, dass ich jeden Augenblick zum Fluss gehen und darüber springen würde, erschreckte ihn etwas. Er drehte den langen Hals zum Ufer und flog sofort hoch. Einmal klatschte der Flügelschlag über dem Wasser, dann verschwand der Reiher geräuschlos flussabwärts.
Was hatte er gesehen? Ich strengte die Augen an und starrte auf den gleichen Fleck. Der Fluss schwieg einen Moment und ich hörte Atmen. Ich blähte die Nasenflügel und fing mit dem nordöstlichen Wind den schwachen Geruch eines Menschen auf. Ich konnte niemanden sehen, doch ich wusste, dass jemand da war und unsichtbar im Schnee lag.
Sein Platz war so, dass er mir leicht den Weg abschneiden konnte, wenn ich direkt zu der schmalen Stelle des Flusses ging. Da er sich so lange unsichtbar machen konnte, musste er vom Stamm sein und wäre wohl auch in der Lage mich zu sehen, sobald ich mich dem Fluss näherte. Meine einzige Hoffnung war, ihn zu überraschen und weiter stromaufwärts hinüberzuspringen, wo der Fluss breiter war.
Es hatte keinen Sinn, noch länger zu warten. Ich atmete leise tief ein und lief aus dem Schutz der Kiefer heraus den Hang hinunter. So lange wie möglich blieb ich auf dem Pfad, ich wusste nicht, wie sicher der Boden unter dem Schnee war. Als ich zum Fluss abbog, schaute ich zur Seite und sah, wie mein Feind sich aus dem Schnee erhob. Er war ganz in Weiß gekleidet. Einen Augenblick war ich erleichtert, dass er nicht unsichtbar, sondern nur getarnt gewesen war - vielleicht kam er nicht vom Stamm, vielleicht war er nur ein Grenzwächter -, dann klaffte der schwarze Abgrund unter mir und ich sprang.
Der Fluss brauste und verstummte und in der Stille hörte ich, wie etwas hinter mir durch die Luft wirbelte. Beim Landen warf ich mich auf den Boden, rutschte auf dem vereisten Felsen aus und verlor fast den Halt. Der fliegende Gegenstand pfiff über meinen Kopf hinweg. Wenn ich gestanden hätte, wäre ich davon in den Nacken getroffen worden. Vor mir sah ich das sternförmige Loch, das er in den Schnee gebohrt hatte. Nur der Stamm benutzte solche Wurfmesser, und gewöhnlich wurden mehrere eingesetzt, eins nach dem anderen.
Ich rollte weiter und brachte mich in Sicherheit, blieb immer noch geduckt und machte mich sofort unsichtbar. Ich wusste, dass ich so bleiben konnte, bis ich im Schutz des Waldes war; aber ich hatte keine Ahnung, ob er meinen Trick durchschaute, und an die Spuren, die ich im Schnee hinterlassen würde, dachte ich nicht. Zu meinem Glück rutschte er ebenfalls aus, als er über den Fluss sprang. Er schien größer und schwerer als ich zu sein und lief wahrscheinlich schneller, aber ich hatte einen Vorsprung.
In der Deckung der Bäume spaltete ich mich und schickte mein Ebenbild seitlich den Hang hinauf, während ich weiter den Pfad hinunterlief, wobei mir klar war, dass ich ihm nicht lange davonlaufen konnte und meine einzige Hoffnung darin lag, ihn irgendwie in einen Hinterhalt zu locken. Vor mir bog der Pfad um eine große Felsnase; ein Ast hing darüber. Ich rannte um die Ecke, ging in meinen Fußspuren wieder zurück, sprang und griff nach dem Ast. Ich zog mich hoch, holte mein Messer heraus und wünschte, ich hätte Jato. Die anderen Waffen, die ich bei mir trug, waren zur Ermordung Ichiros bestimmt gewesen, Garotte und Halshaken. Doch Stammesangehörige sind selten mit ihren eigenen Waffen zu töten, genau wie sie kaum mit ihren eigenen Tricks zu überlisten sind. Meine größte Hoffnung war das Messer. Ich ließ meinen Atem verstummen, machte mich unsichtbar, hörte, wie mein Verfolger zögerte, als er mein Ebenbild sah, und wie er dann wieder
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