Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake
hatte ein fleischfarbenes Pflaster am Kinn und ein weiteres über ihrer linken Augenbraue. Lane nahm an, dass die Sonnenbrille mit dem rosafarbenen Gestell dazu diente, die Veilchen zu verbergen. Normalerweise baumelten große Ringe an ihren Ohren, doch heute waren beide Ohrläppchen mit Pflastern bedeckt. Der tiefe Ausschnitt ihres Tanktops offenbarte blaue Flecken auf ihrer Brust. Auch auf ihren Schultern sah man Blutergüsse. Selbst die Oberschenkel unterhalb ihrer ausgefransten, abgeschnittenen Jeans waren von blauen Flecken übersät.
»Also, wie sieht’s aus?«, fragte Lane.
Jessica zuckte mit den Schultern, und Lane hörte, wie Henry leise die Luft einsog – wahrscheinlich, weil sich Jessicas Brust bei ihrer Geste unter dem dünnen Stoff des engen Tops bewegt hatte. Nur eine ihrer Brüste war zu sehen. Die andere war diskret unter der Schlinge verborgen, die ihren gebrochenen Arm stützte. Als sie zum Auto kam, wackelte die sichtbare Brust unter dem T-Shirt.
Vielleicht war sie von einer ganzen Gang vergewaltigt worden.
Nett von dir, Lane. Richtig nett.
Es wäre ihre eigene Schuld.
Hör auf damit.
Sie entriegelte die Beifahrertür und stieß sie auf.
»Danke«, sagte Jessica.
Henry sank in seinen Sitz zurück – diesmal hatte Betty mit Sicherheit nachgeholfen – und verpasste die Gelegenheit, Jessica beim Einsteigen zu beobachten. Pech gehabt, dachte Lane. Es hätte ihm sicher gefallen, wie Jessicas Bein durch den Schlitz an der Seite der Jeans zu sehen war. Die blauen Flecken allerdings hätten seine Begeisterung vermutlich ein wenig gedämpft.
Jessica schloss die Tür. Lane warf einen Blick in den Seitenspiegel und ließ einen VW vorbeifahren, dann fuhr sie wieder los.
»Willst du wirklich zur Schule gehen?«, fragte sie.
»Scheiße. Würdeft du hingehen, wenn du fo aussähst?«
»Ich glaube, ich würde mich krankmelden.«
»Ja. Aber Fule ift immer noch beffer, als den ganzen Tag bei meiner Alten. Sie ift echt eine Plage.«
Lane presste die Lippen zusammen, leckte darüber. Man musste Jessica bloß zuhören, schon taten einem selber die Lippen weh.
Vom Rücksitz ertönte Bettys Stimme: »Verrätst du uns jetzt, was passiert ist, oder müssen wir raten?«
Missmutig blickte Jessica über die Schulter nach hinten.
»Es geht uns nicht an«, sagte Lane.
»Tja, ich wurde fusammengeflagen.«
»Wer war das?«, fragte Henry.
»Keine Ahnung. Ein paar Typen. Richtige Arfgefichter. Haben mich fu Brei geschlagen und mein Portemonnaie geklaut.«
»Wo ist das passiert?«
»Hinter dem Quick Fop.«
»Hinter dem Quick Stop?«, fragte Betty. »Was hast du denn da gemacht?«
»Fie haben mich dahin gefleppt. Famstagnacht. Ich bin in den Laden rein, um Figaretten zu kaufen, und als ich raufkam, haben fie mich gefnappt.«
»Klingt übel«, meinte Henry.
»Kann man wohl fagen.« Mit einer Hand öffnete sie ihre Schultasche aus Segeltuch und holte ein Päckchen Camel heraus. Sie schüttelte eine Zigarette hervor, hob die Schachtel an den Mund und klemmte sich die Zigarette zwischen ihre dicken, schorfigen Lippen. Mit einem BIC-Feuerzeug zündete sie die Kippe an, inhalierte tief und seufzte.
»Haben sie die Typen geschnappt?«, fragte Lane.
Jessica schüttelte den Kopf.
»Ich hätte nicht gedacht, dass solche Sachen hier in der Gegend passieren.«
»Anscheinend schon.«
Lane bog auf den Schülerparkplatz, fand eine freie Parklücke und schaltete den Motor aus.
»Danke fürf Mitnehmen«, sagte Jessica.
»War mir ein Vergnügen. Tut mir echt leid, dass sie dich so fertiggemacht haben.«
»Mir auch. Bif dann.« Sie stieg aus dem Wagen und ging weg.
»Sterbt ihr nicht vor Neugierde, was wirklich passiert ist?«, sagte Betty.
»Meinst du, sie hat gelogen?«, fragte Lane.
»So kann man es auch ausdrücken. Ja.«
Henry klappte den Sitz nach vorne. »Warum sollte sie bei so einer Sache lügen?«
»Warum nicht?«
8
Larry trank Kaffee und las eine Stunde lang im neuen Buch von Shaun Hutson, nachdem Lane zur Schule gegangen war. Dann legte er das Buch zur Seite und stand aus seinem Sessel auf. »Ich sollte jetzt besser anfangen.«
»Viel Spaß«, sagte Jean und blickte von ihrer Zeitung auf, als er hinter ihr vorbeiging.
Larry schloss seine Bürotür und setzte sich an seinen Computer.
Er hatte schon beschlossen, heute nicht an Fremder in der Nacht zu arbeiten. Mit dem Buch kam er gut voran. Zwei Wochen sollten reichen, um es fertigzustellen.
Und dann?
Das ist der Haken an der Sache, dachte
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