Der pfeifende Mörder
daß sie dazu von ihm selbst veranlaßt worden waren, denn er hatte ja gewußt, daß die Stunde des unnatürlichen Todes für jedes der Mädchen kommen und danach die Suche der Polizei nach ihm einsetzen würde. Überraschend war dennoch, daß sich die Mädchen seiner Einflußnahme in solch fataler Weise gebeugt hatten. Die Erklärung konnte nur im Erotischen liegen. Der Mann mußte auf diesem Felde eine große Macht über seine Opfer gewonnen haben.
Was blieb konkret im Netz der Polizei hängen? Wie gesagt, nicht viel. Nur aus gelegentlichen Bemerkungen der Opfer rundete sich ein Bild, das die Verwirrung zunächst noch größer machte.
Bei Maria Steufels aus Medemblick, nördlich von Hoorn, war die neue Bekanntschaft ein eleganter Herr gewesen, mit einer weichen, zärtlichen Stimme und schönen, gepflegten Händen … so hatte ihn Maria einmal ihrer Nachbarin bruchstückhaft geschildert. Sie hatte ihn bei einem Sonntagstanz kennengelernt, und die beiden waren in Hoorn öfter zusammengekommen.
Bei Grit Vonmeeren aus Kennum auf der Insel Terschelling war es ganz anders gewesen, und das brachte für die Polizei ein verwirrendes neues Element in die Sache.
Grit war einem Mann in mittleren Jahren mit angegrauten Schläfen und einer schönen, dicken Hornbrille (wie die etwas einfältige Grit im Dorf einer Freundin erzählt hatte) begegnet. Er stieß beim Sprechen etwas mit der Zunge an und schien ein mittlerer Beamter zu sein. Er trug einen einfachen Konfektionsanzug und Hemden, deren Kragen nicht immer ganz sauber waren. Das fiel der Hausgehilfin Grit an vordringlicher Stelle auf, und sie erzählte, daß sie zu dem Mann gesagt habe, wenn er erst mal eine Frau besäße, höre das alles auf. Darauf habe er geantwortet, daß das aber dann eine Frau sein müßte, die Grit hieße.
Bekannt geworden sei sie mit dem Mann am Strand von Kennum … er habe dort Muscheln gesammelt. Für den Unterricht. Auf die Frage, ob er denn Lehrer sei, habe er jedoch geschwiegen.
Paul Leerdam und die Kollegen der Sonderkommission brüteten lange über diesen widerspruchsvollen Angaben.
»Das läßt mich geradezu an einen gelernten Schauspieler denken«, sagte Leerdam.
»Also an einen Akademiker mit einer Nebenausbildung zum Schauspieler mit abgebrochenem akademischen Studium«, erlaubte sich Schouwen zu sagen. Das war eine Frechheit von ihm. Prompt erfolgte die Reaktion.
»Schouwen!«
»Ja, Chef?«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Keineswegs falsch, Chef.«
»Sie haben wohl das Bedürfnis, zur Verkehrspolizei versetzt zu werden.«
»Durchaus nicht, Chef.«
»Dann erinnern Sie mich gefälligst nicht an meinen Mißgriff mit dem Bibliothekar. War ich nicht der erste, der den Verdacht gegen ihn widerrief?«
»Absolut, Chef.«
»Und wer regte sich am meisten auf, als ihn der Untersuchungsrichter laufen ließ?«
»Ich, Chef.«
»Na also.« Leerdam klopfte mit dem Zeigefinger auf die Schreibtischplatte. »Und jetzt sagen Sie mir, was Ihrer Meinung nach diese plötzliche Maskerade des Mörders zu bedeuten hat … graue Schläfen, Hornbrille, vernachlässigte Kleidung. Er macht sich älter, glanzloser. Was wir bisher von ihm eruieren konnten, sah alles ganz anders aus.«
»Er wird vorsichtiger.«
Leerdam nickte.
»Das denke ich auch, ja. Er hat angefangen, in verschiedene Häute zu schlüpfen, um der Gefahr vorzubeugen, daß in allen Zeitungen eines Tages ein nach den von uns zusammengetragenen Angaben angefertigtes, ihm ähnliches Phantombild auftaucht.«
Schouwen nickte zustimmend, sagte jedoch trotzdem: »Es könnte auch sein …«
»Was?« fragte Leerdam, als Schouwen zögerte, den Satz zu vollenden.
»… daß der Kerl die Maskerade, wie Sie es nennen, treibt aus reiner Lust am Schabernack.«
»Schabernack?«
»Ich meine damit, daß er vielleicht einer ist, der eben alles auf die absolute Spitze treibt.«
»Schon möglich«, brummte Leerdam, »aber ich sehe da eine Möglichkeit. Wissen Sie, welche?«
Diesmal mußte der helle Wilm Schouwen passen.
»Nein«, gab er betrübt zu.
»Die grauen Schläfen«, sagte Leerdam. »Die färbte sich der also wenn er zu Grit Vonmeeren ging. Und zu Hause muß er sie wieder abgewaschen haben, sonst wäre das ja am nächsten Tag den Leuten in seiner Umgebung aufgefallen. Das erfolgte ein paarmal. Was müssen wir also – erstens – feststellen, Wilm?«
Nun hatte es natürlich auch bei Schouwen gefunkt. Eifrig antwortete er: »Ob es ein nach Bedarf leicht anzuwendendes und wieder
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