Der pfeifende Mörder
Geburtstagsfeier ihrer Großmama nicht aus dem Weg gehen. Antje, sozusagen von allen verlassen, mußte also allein das Wagnis auf sich nehmen, den ›Film-Palast‹ anzusteuern.
Und es ist schon richtig, dies hier als Wagnis zu bezeichnen. Ohne daß Antje es geahnt hätte, lief sie nämlich Hollands schrecklichstem Frauenmörder aller Zeiten in die Arme.
Vater Uwe, der Polizeibeamte, hatte Dienst, von dem er erst sehr spät nach Hause kommen sollte. So besorgte sich Antje also im Vorverkauf eine Karte und ging noch ein wenig spazieren, denn die Vorstellung begann erst in einer halben Stunde.
Als Antje den Kassenschalter verließ und sich durch die hinter ihr wartende Menge hinausdrängte, schauten ihr zwei brennende Augen nach. Ein gutaussehender Mann, dessen Maßanzug die Hand eines ausgezeichneten Schneiders verriet, trat unmittelbar nach Antje an die Kasse und verlangte eine Karte zum gleichen Preis.
»Unbedingt neben der jungen Dame«, sagte er leise und zwinkerte lustig der Kartenverkäuferin zu, die es oft genug mit solchen Wünschen zu tun hatte und deshalb ohne weiteres ›spurte‹. Das gehörte bei ihr zum Kundendienst.
Der Mann zahlte, bedankte sich sehr höflich und eilte dann zum Ausgang, um Anschluß an Antje zu halten. Aber sie war im Gewühl der Straße schon verschwunden.
Die Kartenverkäuferin, selbst auch noch jung und hübsch, widmete ihm noch ein paar Gedanken. Ein netter Mann, fand sie. Einer, der mich rasch schwach machen könnte. Warum habe nicht ich das Glück, neben ihm zu sitzen? Er scheint von der Arbeit zu kommen.
Dies nahm sie an, weil der Mann eine Aktentasche bei sich trug, der man ansehen konnte, daß sie schwer war.
Die Kartenverkäuferin ahnte nicht, welch grauenhaftes Schicksal sich für sie mit ihrem Wunsch, neben diesem Mann zu sitzen, verbunden hätte, wenn er ihr in Erfüllung gegangen wäre.
Der Mann stand also draußen auf der Straße und blickte sich suchend um. Vergeblich. Antje war nicht mehr zu sehen.
Macht nichts, ich sitze ja neben ihr, sagte er sich und steckte die Karte, die er noch in der Hand gehalten hatte, in die Tasche seines offenen Trenchcoats. Dann ging er in ein nahes Café, bestellte sich einen Mokka und lehnte die Aktentasche an ein Bein seines Tisches.
Der Mokka schmeckte ihm nicht besonders. Das lag aber nicht an dem Kaffee, sondern an ihm selbst. Das war immer so, erst nach getaner Arbeit – nicht davor – aß und trank er mit größtem Appetit. Vom Mokka abgesehen, beschäftigten ihn aber angenehme Gedanken. Er dachte an Mädchenköpfe, die sich von ihren Rümpfen getrennt hatten. Nun war also wieder ein blonder an der Reihe. Blonde Köpfe hackte er eigentlich noch lieber ab als andere. Mit einem blonden hatte er überhaupt angefangen. Wie war doch der Name dieses Mädchens gewesen? Ruth … und wie? Ruth … Ruth Kappel, ja. Fast wäre es ihm nicht mehr eingefallen.
Vergangenes war und blieb für ihn erledigt. Er war ein Mann, der in die Zukunft blickte, auch in seinen Geschäften.
Die Unruhe, die ihn nach seinem Mord an dem Hausierer, von dem für ihn Gefahr ausgegangen war, befallen hatte, hatte sich wieder verflüchtigt. Dieser Mord paßte nicht in sein Konzept. Sein Metier waren Frauenmorde. Das Gesetz der Notwendigkeit hatte ihn ihm aber aufgezwungen. Nun stand er davor, in sein Metier zurückzukehren.
Ein eigenartiger Reiz ging für ihn diesmal von der Tatsache aus, daß er das Mädchen, welches dazu ausersehen war, sein nächste Opfer zu werden, gar nicht kannte. Sollte sich nämlich Gelegenheit finden, das Mädchen heute abend schon umzubringen, würde dies geschehen. Der Mann war dazu entschlossen. Der Mord an dem Hausierer war kein Vergnügen für ihn gewesen, ein Frauenmord dagegen verband sich für ihn mit höchster Lust. Der Mann hungerte deshalb danach. Aber vielleicht fand sich die ersehnte Gelegenheit heute abend noch nicht, dann galt es, sich trotzdem noch zu gedulden. Das Leben warf einem nicht alles in den Schoß.
Als der Mann auf seine goldene Armbanduhr blickte, sah er, daß es an der Zeit war, zu zahlen. Er rief die Bedienung, erfreute sie mit einem reichlichen Trinkgeld, nahm seine Aktentasche auf und verließ mit einem freundlichen Gruß das Café. Auf der Straße sah sich der Mörder um, ob er nicht schon das Mädchen entdeckte, dessen Tage, ja vielleicht Stunden schon gezählt waren. Er erblickte aber keinen Blondschopf vor dem Kino, zuckte mit den Schultern, tastete nach der Eintrittskarte in seiner
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