Der Pfeil der Rache
sie entgegennehmen.«
»Das Tor muss für den König freigehalten werden. Niemand kommt hinaus oder herein, ehe er hindurchgefahren ist. Er wird in wenigen Minuten hier sein.«
»Verflucht!«, entfuhr es mir. »Komm, lass uns in der Menge untertauchen.« Ich versuchte, Oddlegg zu wenden, aber die Leute standen zu dichtgedrängt. »Er kommt!«, rief ein Offizier vom Tor her. »Ein jeder bleibt an seinem Platz!«
Also warteten wir. Entlang der High Street drängten sich hinter den Soldaten Hunderte Städter, von denen einige englische Fahnen schwenkten. Farbenfrohe Wandbehänge und Teppiche hingen von den Fenstern im ersten Stock der Häuser, sogar auf den Dächern standen Menschen. Ich blickte in die Menge ringsum und entdeckte im Hintergrund Edward Priddis und seinen Vater, beide hoch zu Ross. Sie starrten mich an, Edward mit versteinerter Miene, Sir Quintin rachsüchtig. Ich wandte mich ab und blickte hinauf zum Wehrgang auf der Stadtmauer, der von Soldaten bevölkert war. Ich tätschelte Oddleg den Hals, der, wie viele Pferde im Gedränge, nervös geworden war.
Ein Soldat auf der Mauer wölbte die Hände über dem Mund und rief herunter: »Er kommt!« Ich zog mir die Kappe in die Stirn, um mein Gesicht zu verbergen, als die Soldaten zu jubeln begannen. Man hörte das Trappen von Schritten, und durch das Tor marschierte eine Kompanie Pikeniere, gefolgt von einer Gruppe in Pelz und Atlas gehüllter Höflinge. Einer von ihnen war Rich. Dahinter ritt auf einem gewaltigen Ross, welches eine goldene Schabracke zierte, in gemächlichem Schritt die unverwechselbare Gestalt des Königs herein. Er trug ein pelzverbrämtes scharlachrotes Gewand, auf welchem Edelsteine in der Sonne funkelten, dazu eine schwarze Kappe mit weißen Federn. Als ich ihn vor vier Jahren gesehen hatte, war er schon dick gewesen, doch jetzt war seine Leibesfülle gewaltig, die Schenkel zu beiden Seiten des Pferdes wie golden bestrumpfte Baumstämme. An seiner Seite ritten Lord Lisle, ebenso finster wie neulich im Godshouse, und ein hochgewachsener Mann, den ich aus York kannte: der Herzog von Suffolk. Sein Bart war nun lang, gegabelt und weiß, er war alt geworden.
Jubel ertönte auf den Straßen, und ein Kanonenschlag vom Camber her hieß den König willkommen. Ich wagte einen Blick auf das Gesicht des Monarchen, während er, fünfzehn Fuß von mir entfernt, vorüberritt. Mir blieb der Mund offen stehen, denn er hatte sich in den vier Jahren grundlegend verändert. Die tiefliegenden Äuglein, die Hakennase und der kleine Mund waren nunmehr von einer Fettschicht umgeben, die seine Züge in die Mitte des Kopfes zu pressen schien. Sein Bart war schütter und fast vollkommen ergraut. Er lächelte jedoch und winkte der jubelnden Menge zu, wobei er die winzigen Äuglein wachsam umherschweifen ließ. In jenem grotesken Gesicht glaubte ich Schmerz und Müdigkeit zu lesen; und noch etwas – Furcht? Und ich fragte mich, ob nicht auch dieser Mann mit seinem titanischen Selbstvertrauen nun, da die Invasion der Franzosen unmittelbar bevorstand, denken mochte: ›Was soll jetzt werden?‹ Oder gar: ›Was habe ich nur getan?‹
Noch immer winkend, ritt er die High Street hinunter, auf die Barkasse zu, die ihn zur
Great Harry
übersetzen würde.
* * *
Eine halbe Stunde ging vorüber, ehe das gesamte Gefolge des Königs in die Stadt gezogen war und wir das Tor endlich passieren konnten. Vom Ufer her ertönten weitere Kanonenschüsse, als der König am Kai anlangte. Die Soldaten vor dem Tor brauchten nicht mehr strammzustehen und wischten sich den Schweiß von der Stirn.
»Beim Blute Gottes, er sah aus wie ein Greis!«, bemerkte Barak. »Wie alt ist er jetzt?«
Ich rechnete. »Vierundfünfzig.«
»Großer Gott! Stellt Euch die Königin vor, die mit so etwas schlafen muss.«
»Lieber nicht.«
»Das glaube ich gern.« Er wagte ein Lächeln, und ich lächelte traurig zurück, froh, dass das Eis gebrochen war.
Wir überquerten die Brücke zum Festland und ritten geschwind bis zum Städtchen Cosham. Von dort aus führte eine Straße weiter nach Norden, an Hoyland vorbei und weiter nach London, während eine Abzweigung links nach Portchester Castle führte. Wir zügelten die Pferde. Barak sagte leise: »Reiten wir weiter, nach Hause.«
»Nein. Ich reite nach Portchester. Eine Stunde hin und zurück, ein oder zwei Stunden auf der Burg. Ich versuche, dich morgen einzuholen.«
»Ich komme nicht mit.«
»Schon gut. Du hältst mich für toll, das weiß ich.«
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