Der Pilot von der Donau
Hinter diesem Fenster wohnte die Freiheit… die galt es nun zu erringen.
Lange verzweifelte er, ein Mittel dazu zu finden. Endlich, als er sich zum tausendstenmale in seiner Kabine umsah, entdeckte er nahe der Wand eine vom Fußboden bis zur Decke reichende dünne Eisenplatte, die wahrscheinlich im Fall des Bedarfs zur Verbindung der Bohlen der Bordwand dienen sollte. Die Eisenplatte stand von der Wand etwas ab, und wenn sie auch keine schneidende Kante zeigte, war es doch vielleicht möglich, sie zum Durchscheuern, wenn auch nicht gerade zum Zerschneiden seiner Armfesseln zu benutzen. So schwierig das auch erschien, den Versuch mußte er doch unternehmen.
Nachdem es ihm mit vieler Mühe gelungen war, bis zu dem Eisenstück hinzukriechen, begann Serge Ladko sofort, daran mit dem Stricke zu reiben, der um die Handgelenke geschlungen war. Die fast vollständige Unbeweglichkeit infolge seiner Fesselung machte diese Arbeit freilich sehr schwierig, und da er die Hin-und Herbewegung der Arme nur durch einander ablösende Zusammenziehungen des ganzen Körpers ermöglichen konnte, blieb der Erfolg recht beschränkt. Außer daß seine Arbeit so nur langsam fortschritt, war sie auch höchst anstrengend, und alle fünf Minuten mußte der Pilot dabei ausruhen.
Zweimal täglich, zur Zeit seiner Mahlzeiten mußte er sie überhaupt unterbrechen. Es war immer derselbe Bursche, der ihm seine Nahrung brachte, und obwohl dieser sein Gesicht hinter einer Leinwandlarve verbarg, erkannte ihn Serge Ladko doch leicht wieder an seinen schon ergrauten Haaren und an der auffallenden Breite seiner Schultern. Obgleich er aber dessen Gesicht nicht sehen konnte, machte ihm die Gesamterscheinung des Mannes doch den Eindruck, als ob er ihm nicht unbekannt wäre. Dafür sprach – wenn auch nicht mit voller Sicherheit – seine mächtige Gestalt, sein schwerer Schritt und das halbergraute Haupthaar, das neben der Larve hervorquoll.
Seine Ration empfing er immer zu bestimmter Stunde, außer dieser Zeit betrat niemand sein Gefängnis. Nichts hätte auch die Stille ringsum gestört, wenn er nicht dann und wann gehört hätte, daß eine ihm gegenüber gelegene Tür geöffnet wurde. Dann drangen fast stets zwei Stimmen, die eines Mannes und die einer Frau, zu ihm herüber. Serge Ladko horchte gespannt, und seine Arbeit unterbrechend bemühte er sich, diese Stimmen zu unterscheiden, die in ihm unbestimmte tiefe Gefühle wachriefen.
Abgesehen von solchen Zwischenfällen, aß der Gefangene zunächst, sobald ihn sein Kerkermeister verlassen hatte, und ging dann wieder eifrig an seine Arbeit.
Fünf Tage waren schon vergangen, seit er damit begonnen hatte, und er fragte sich noch immer, ob er denn dabei Fortschritte machte oder nicht, als gegen Abend am 6. September der Strick, der seine Hände fesselte, plötzlich zerriß. Der Pilot mußte einen Freudenschrei unterdrücken, der ihm zu entfliehen drohte. Da ging seine Tür auf. Derselbe Mann erschien, der jeden Tag seine Zelle betrat und die gewohnte Ration neben ihn hinsetzte.
Sobald er sich wieder allein befand, wollte Serge Ladko die befreiten Arme bewegen, das war ihm aber zunächst unmöglich. Eine ganze lange Woche unbewegbar zusammengeschnürt, waren seine Arme und Hände wie gelähmt. Allmählich gewannen sie jedoch die Beweglichkeit in immer zunehmendem Grade wieder. Nach einer Stunde gelangen ihm schon einige – anfangs ziemlich ungeschickte – Bewegungen und Versuche, nun auch seine Beine freizumachen.
Endlich war er frei oder hatte wenigstens den ersten Schritt zur Freiheit getan. Der zweite würde sein, durch das Fenster, das er jetzt mit den Händen erreichen konnte, zu entkommen. Durch dieses sah er die Donau, wenn auch nicht deren jetzt im Dunkeln liegendes Ufer. Die Umstände waren günstig Draußen herrschte die tiefste Finsternis. Das müßte ein Schlaukopf sein, der ihn in der mondeslosen Nacht, wo man keine zehn Schritt weit sehen konnte, wieder einfinge. Übrigens würde ja vor dem nächsten Morgen niemand in seine Zelle kommen, und wenn man dann seine Entweichung entdeckte, konnte er schon weit fort sein.
Eine ernste Schwierigkeit, noch mehr, eine materielle Unmöglichkeit, hielt ihn beim ersten Versuche zurück. Groß genug für einen schmiegsamen schlanken Jüngling, war das Fenster doch zu klein, einen erwachsenen und so stark gebauten Mann wie Serge Ladko hindurchzulassen. Nach vergeblicher Anstrengung mußte dieser erkennen, daß das Hindernis unüberwindbar sei, und so
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