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Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Titel: Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klester Cavalcanti
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friedlich. Ihre Augen waren geöffnet. Die feinen Gesichtszüge und die kurzen, schulterlangen Haare ließen sie noch jünger aussehen, als sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren ohnehin war. Sie trug eine graue Stoffhose und ein langärmeliges, bläuliches Hemd. »Du solltest sie nicht töten, Julão«, sagte Carlos Marra streng, aber ohne laut zu werden.
    »Ich weiß, Delegado. Ich wollte auch niemanden töten. Aber als ich geschossen habe, hat sie sich zur Seite gebeugt, und die Kugel hat sie in den Kopf getroffen.«
    »Kein Problem«, unterbrach sie einer der Soldaten, den Marra mit »Leutnant« anredete. »Vielleicht war es sogar das Richtige, um diesen Kommunisten zu zeigen, dass wir keinen Spaß verstehen. Entweder sie hören auf mit ihrer Revolution, oder sie sterben, einer nach dem anderen.«
    Júlio bekam Angst bei diesen harten Worten. Carlos Marra befahl, dass er und ein Soldat die Tote zu Coioiós Hütte bringen sollten. Júlio fasste die Guerillera an den Knöcheln, der andere nahm sie an den Handgelenken. Als er den Körper der jungen Frau berührte, deren Augen noch immer geöffnet waren, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Es war, als schaute sie ihn an, als würde sie ihn verachten für das, was er getan hatte. In diesem Moment musste Júlio an den Tag denken, als er im August 1971 Amarelo getötet hatte. Damals hatte sein Opfer ebenfalls die Augen noch offen gehabt. Es war ein seltsames Gefühl, den leblosen Körper von Maria Lúcia zu tragen. Seine Hände schwitzten. Noch nie hatte er einen toten Körper so lange berührt.
    Er wollte alles so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sie gingen dreihundert Meter durch den Wald bis zu Coioiós Hütte. Zwei Soldaten blieben dort, um die Leiche zu bewachen. Marra, Júlio und der Leutnant gingen zurück nach Xambioá. Gegen vierzehn Uhr erreichten sie die Stadt und liefen direkt zur Militärbasis, von wo aus der Leutnant einen Helikopter losschickte, um die zwei Soldaten und die Leiche zu holen.
    Auf dem Weg nach Xambioá hatte Júlio kein Wort gesprochen. Sein Herz war wie eingeschnürt.
    Als der Helikopter in der Luft war, gingen Marra und Júlio zur Polizeistation. Der Offizier sagte, er könne verstehen, dass Júlio so still und in sich gekehrt sei. Niemand sei glücklich, wenn er gerade eine junge Frau getötet habe. Aber schließlich sei das ihre Arbeit. Ihr Auftrag sei, die Guerilla zu besiegen, und Júlio würde immer wichtiger für die Operation. Die Unterredung dauerte zwanzig oder dreißig Minuten.
    Júlio fühlte sich besser, als er die Station verließ. Fast war er davon überzeugt, nur das getan zu haben, was er tun musste. Anders als damals, als er Amarelo getötet hatte, denn dies hier war ein staatlicher Auftrag, ein Krieg. Es war etwas anderes, als einen Menschen für ein bisschen Geld und ein paar Kilo Reis und Bohnen zu töten. Das versuchte er sich einzureden, als er den Helikopter zurückkehren sah. Er wusste, dass darin das Mädchen lag, das er ein paar Stunden zuvor erschossen hatte. Ihm ging durch den Kopf, dass er nicht einmal ihren Namen wusste. Doch dann dachte er, es sei besser so. Ein Name weniger, der auf seiner Seele lastete. Er ging in die Pension. Vorher schaute er kurz in der Bäckerei vorbei und kaufte Coca-Cola, Brötchen und Käse, falls er später Hunger bekommen sollte. Alles, was er nun wollte, war schlafen, um zu vergessen, was er soeben durchlebt hatte.
    Am Morgen des 15. Mai 1996 – fast vierundzwanzig Jahre nach Maria Lúcias Tod – analysierten Spezialisten der Universität Campinas in einem Hörsaal die sterblichen Überreste der Guerillera, die vor ihnen auf einem blauen Tuch ausgebreitet lagen. Auf der linken Seite des Hörsaals hingen Fotos von Maria Lúcia, vor und nach ihrem Tod. Im Publikum saßen dreißig Personen, Journalisten, Fotografen, Dokumentarfilmer sowie Freunde und Angehörige. Laura Petit, Maria Lúcias Schwester, saß in der ersten Reihe, Hand in Hand mit ihrer Mutter, Dona Julieta. Keine zwei Meter von ihnen entfernt hielt der Pathologe Badan Palhares den Schädel der jungen Frau in der Hand und zeigte mit einem kleinen weißen Stab, wo der tödliche Schuss die junge Rebellin getroffen hatte.
    Als Todesursache wurde festgestellt, dass Maria Lúcia Petit von zwei Schüssen getroffen worden war: ein Schuss aus einem 7.62er Gewehr in den rechten Oberschenkel und einer in den Kopf, »im linken Schädelknochen die typischen Zeichen eines Durchschusses«. Der Schuss, den Júlio Santana

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