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Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Titel: Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klester Cavalcanti
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abgegeben hatte. Maria Lúcia Petit ist bis heute die einzige von Militärs getötete Rebellin, deren Leiche exhumiert und identifiziert wurde 2 . Schätzungsweise hundert Kommunisten sind im Guerillakrieg am Araguaia ums Leben gekommen. Dona Julieta Petit, heute sechsundachtzig Jahre alt, weint immer noch um ihre jüngste Tochter und ihre beiden anderen Kinder, die auch auf Seiten der Guerilla kämpften und getötet wurden. Nach Abschluss der Untersuchung wurden die sterblichen Überreste von Maria Lúcia Petit der Familie übergeben, die sie auf dem Friedhof von Bauru in São Paulo beisetzen ließ. Die Armee hat bis heute den Namen desjenigen nicht freigegeben, dessen Schüsse am 16. Juni 1972 die junge Kommunistin töteten. Júlio Santana erfuhr nie den Namen der jungen Frau, die er erschoss. Und bis heute sagt er, es sei besser so.
    1   Infektionskrankheit, die durch Parasiten der Gattung Leishmania hervorgerufen wird. Sie befällt die Haut und je nach Region auch die Schleimhäute. Leishmaniose kommt in Südeuropa, Süd- und Mittelamerika, dem Vorderen Orient und Asien vor. [Anm. d. Übers.]
    2   Mittlerweile ist auch Bergson Gurjäo Farias identifiziert, der als erster getöteter Guerillero gilt und 2009 in Xambioá exhumiert wurde. [Anm. d. Übers.]

DER WEG ZUM PISTOLEIRO
    Am 23. Juni 1972, eine Woche, nachdem er Maria Lúcia Petit umgebracht hatte, wurde Júlio Santana achtzehn. Seit der Tat hatte er nicht mehr richtig geschlafen, und so war er auch an diesem Tag schon vor Sonnenaufgang wach. Jede Nacht, ohne Ausnahme, hatte er Albträume, in denen ihn Marias Leiche mit offenen Augen anstarrte. Auf der Innenseite seiner Hände spürte er noch ihre glatten, kalten Fußknöchel. Es wurde unerträglich für ihn, weiter in Xambioá zu bleiben. Er wollte so schnell wie möglich zurück nach Porto Franco. Cícero hatte ihm versprochen, ihn an diesem Morgen abzuholen, um diesen Ort zu verlassen: das schönste Geburtstagsgeschenk seines Lebens.
    Doch die Zeit verstrich, und Cícero kam nicht. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der Onkel sein Versprechen brach. Wie oft hatte Carlos Marra ihm ausgerichtet, Cícero habe angerufen und gesagt, er würde den Neffen besuchen kommen, und jedes Mal hatte er vergeblich auf den Onkel gewartet. Júlio lag auf dem Bett, er war hungrig. Er wollte nicht länger warten und beschloss, allein zu frühstücken. Als er in der Bäckerei sein Käsebrot aß und Cola trank, hielt ein Militärjeep vor der Tür. Der Onkel und Carlos Marra stiegen aus. Cícero begrüßte Júlio, drückte ihn fest und klopfte ihm auf die Schulter. Er sei stolz auf ihn, dass er am Araguaia unter Marras Kommando eine so großartige Arbeit geleistet habe. Der Polizeioffizier gab ihm einen vergilbten Umschlag, den er gar nicht erst zu öffnen brauchte, um zu wissen, dass sich darin sein Sold für die letzte Woche befand: einhundert Cruzeiros, wie jeden Freitag. Júlio war sicher, dass er nie wieder so viel Geld auf einmal erhalten würde. Eintausendzweihundert Cruzeiros hatte er insgesamt verdient.
    »Ich habe noch etwas für dich«, sagte der Polizeioffizier und überreichte ihm eine schwarze Plastiktüte.
    »Was ist denn da drin?«, wollte Júlio wissen.
    »Mach sie auf und sieh nach, Junge.«
    Júlio musste grinsen, als er die Militäruniform sah, ein grobes Hemd mit langen Ärmeln, ein olivgrünes Barett und die Stiefel, die er sich so sehr gewünscht hatte. Am liebsten hätte er sie sofort anprobiert.
    »Alles niegelnagelneu, siehst du? Dein Onkel hat mir verraten, dass heute dein Geburtstag ist, darum schenke ich sie dir«, sagte Marra.
    »Danke, Delegado. Vielen Dank!«
    »Gerne, Julão, du hast es dir verdient. Du hast hervorragende Arbeit geleistet, und wenn du hierbleiben und weiter für mich arbeiten willst…«
    »Lieber nicht, Delegado. Ich möchte nach Hause und meine Familie wiedersehen«, sagte Júlio und schaute den Onkel an.
    »Recht hast du. Aber wenn du deine Meinung änderst oder mal wieder hier in der Gegend bist, kannst du mich jederzeit aufsuchen. Immerhin ist dein Onkel ein Freund von mir, und du bist es jetzt auch.«
    Sie stiegen in den Jeep und fuhren zur Polizeistation. Júlio hatte den Eindruck, dass in Xambioá noch mehr Militärfahrzeuge und Uniformierte unterwegs waren als bei seiner Ankunft vor knapp drei Monaten. Und vermutlich würden sich die chaotischen Zustände noch verschlimmern, doch das konnte ihm jetzt egal sein. Vor der Station verabschiedete sich Marra, und

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