Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
über dem Urwald aufgingen, saßen Júlio, Marra, die drei Soldaten und Coioió bereits draußen auf einem umgestürzten Baumstamm neben der Hütte. Mit Ausnahme des Bauern waren alle bewaffnet. Die Soldaten trugen 7.62er Gewehre, die nur das Militär benutzte und die Júlio noch nie gesehen hatte. Doch er war zufrieden mit seinem Gewehr. An Marras Gürtel hing dessen Revolver Kaliber 38, von dem er sich nicht einmal trennte, wenn er sich in Vietnam vergnügte.
Der Plan war, die drei Kommunisten lebend zu fangen. Júlio war froh, dass er niemanden töten musste. Zugleich fürchtete er, wieder Zeuge von Folterungen zu werden, wie vor drei Monaten, als sie José Genuino gestellt hatten.
Sie errichteten im Busch einen Hinterhalt und warteten auf die Guerilleros. In ihrer dunkelgrünen Uniform verschmolzen die Soldaten mit dem Wald. Júlio hoffte immer noch, auch eine solche Uniform zu bekommen. Vor allem die Stiefel. Er bestaunte gerade das grobe, langärmelige Hemd des Soldaten neben ihm, als er drei Personen bemerkte, die sich näherten. Sie waren noch etwa vierzig Meter entfernt. Mit einem Zweig machte er Marra auf die Gestalten aufmerksam. Der Offizier hatte gesagt: Falls es zu einem Schusswechsel käme, würden die Soldaten zuerst schießen. Erst dann wäre Júlio dran. Vorsichtshalber behielt er einen der Guerilleros im Visier.
Langsam fand er Gefallen daran. Ein seltsames Machtgefühl stieg in ihm auf, das Leben eines anderen Menschen in der Hand zu haben. Er musste nur abdrücken, und schon war der andere tot. Aber er würde es nicht tun. Er hatte Gott geschworen, nie wieder jemanden zu töten.
Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als Schüsse aus den 7.62ern die Stille des Waldes zerrissen. Ihr Echo hallte zwischen den Bäumen wider. Júlio sah die drei Guerilleros flüchten. Der kleinste war getroffen worden und hinkte. Die zwei anderen kamen zurück, um ihrem Genossen zu helfen. Die Soldaten feuerten weiter. Die Rebellen konnten sich hinter den Bäumen, von denen einige zwei oder drei Meter dick waren, gut verstecken, und die zwei, die unverletzt geblieben waren, feuerten nun in Richtung der Soldaten. Einer schlang dem Verletzten seinen linken Arm um die Hüfte, dieser stützte sich auf seine Schultern, und verzweifelt versuchten sie zu entkommen, während der dritte aus einem Revolver feuerte.
Júlio bekam Panik. Er hatte das Gefühl, jeden Moment könnte eine der Kugeln ihn treffen. Es war seine erste Schießerei. Marra schaute zu ihm herüber und schrie etwas, das er nicht verstand. Der Offizier brüllte lauter: »Knall sie ab! Wenigstens einen.« Ohne zu wissen warum, dachte Júlio, am besten wäre es, denjenigen zu erschießen, der sowieso schon verwundet war. Er kniete sich auf den laubbedeckten Boden, kniff das linke Auge zu und zielte auf die rechte Schulter des verletzten Guerilleros. Er musste daran denken, wie er auf Genoino geschossen hatte. Dieselbe Situation. Der Urwald behinderte seine Sicht, die Rebellen versuchten zu fliehen. Sein Atem ging schnell. Die Anspannung, das Ziel nicht verfehlen zu dürfen, er genoss es. Er wartete auf den richtigen Moment und schoss. Bevor die Kugel ihr Ziel erreichte, wusste er, dass ein Unglück geschehen würde.
Wegen seiner Verletzung am rechten Bein schwankte er leicht nach links und beugte die Knie. Dadurch traf ihn der Schuss, der ihn an der Schulter hatte treffen sollen, direkt in den Kopf. Er fiel zu Boden und blieb reglos liegen. Júlio war klar, was geschehen war. Doch er wollte es nicht glauben. Die heftige Beklemmung, das Unglück, das er verspürt hatte, nachdem er Amarelo erschossen hatte, stiegen wieder in ihm hoch. Er brauchte nicht hinzusehen. Er wusste, dass er den Guerillero getötet hatte. Während er an Ort und Stelle, mitten im Busch, seine zehn Ave-Marias herunterbetete und die zwanzig Vaterunser, von denen er göttliche Vergebung erhoffte, sah er die zwei anderen Rebellen davonrennen.
Marra und die drei Soldaten näherten sich der Leiche. Júlio blieb, wo er war, auf Knien, umklammerte das Gewehr mit einer Kraft, von der er gar nicht wusste, dass er sie besaß, und betete mit ebenso unbekannter Inbrunst.
Er betete immer noch, als der Offizier nach ihm rief. Die Erde um den Kopf des Toten war voller Blut. Als er näher kam, hörte er einen Soldaten sagen: »Es ist eine Frau.« Júlio fühlte sich noch schuldiger. Warum auch immer glaubte er, es sei schlimmer, eine Frau zu töten als einen Mann. Das Gesicht der toten Guerillera war
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