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Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Titel: Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klester Cavalcanti
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welche Weise auch immer zu verletzen. Aber er merkte auch, dass durch die Wut auf die Exfreundin die bitteren Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit in den Hintergrund getreten waren. Er hatte nicht gedacht, dass es möglich wäre, diese Hölle zu vergessen, und ihm wurde leichter ums Herz.
    Als die untergehende Sonne den Himmel in violette, rote und orangene Töne tauchte, ging er zurück nach Hause. Pedro und Paulo badeten im Fluss. Dona Marina, Seu Jorge und Cícero saßen auf einem Baumstamm, den sie neben die Tür der Hütte gezerrt hatten, und unterhielten sich. Júlio zog sein Hemd aus und legte es in den Schoß der Mutter, dann rannte er zu seinen Brüdern. Als er in den Fluss sprang, stieß er einen Freudenschrei aus und lachte, so spontan und unschuldig wie schon lange nicht mehr. Sie alberten im Wasser herum, bis sie von Dona Marina zum Essen gerufen wurden, dann trockneten sie sich auf einem Holzvorsprung vor der Hütte ab und zogen sich an. Als Júlio in die Hütte trat, stand dort ein Schokoladenkuchen – sein Lieblingskuchen – mit einer zerbrochenen weißen Kerze in der Mitte. Sie sangen ihm ein Geburtstagslied.
    »Aber mein Geburtstag war doch schon gestern«, sagte er grinsend.
    »Ja, nur bist du so überraschend gekommen, dass keine Zeit war, etwas vorzubereiten«, antwortete Dona Marina. Sie schnitt den Kuchen an und gab dem Geburtstagskind das erste Stück.
    »Gibt es Cola?«, fragte Júlio kauend.
    »Du weißt doch, dass das ein Luxus ist, den wir uns nicht leisten können. Aber es gibt den Traubensaft, den du so gerne hast«, sagte sie und reichte ihm ein Glas.
    In Xambioá konnte ich wenigstens jeden Tag Cola trinken, dachte er, sagte aber nichts, um seine Eltern nicht zu kränken.
    Im Licht der Petroleumlampe aßen sie Kuchen, dann etwas gebratenen Fisch, und endlich erzählte Júlio auch vom Araguaia. Er beschrieb Tonhos komische Stimme, die Autos und Lastwagen der Armee, schilderte diese oder jene Einzelheit, erzählte von der aufregenden Reise mit dem Helikopter, seinen Schwierigkeiten, im Bett zu schlafen, und von der großen Kiste, die Onkel Cícero in seinem Haus stehen hatte und die das Wasser kühlte.
    »Es gibt sogar Glaskugeln, die an der Decke hängen und das ganze Haus hell machen, viel besser als Petroleumlampen«, sagte er.
    Die Eltern und Brüder hörten so gespannt zu, dass Júlio sich wie der wichtigste Mensch auf Erden fühlte. Er griff nach der Plastiktüte, lief hinaus und zog sich die Uniform über. Mit dem Barett auf dem Kopf und in schwarzen Militärstiefeln kam er wieder hinein. Als sie ihren Sohn so sah, lachte Dona Marina und sagte, dass sie noch nie einen so hübschen jungen Mann gesehen habe, und auch Seu Jorge machte ihm Komplimente und sagte, dass er aussehe wie ein General. Pedro und Paulo kamen zu ihm, um die Uniform zu berühren.
    »Warum nimmst du Júlio nicht einfach mit nach Imperatriz, damit er auch Polizist wird, Cícero?«, fragte Dona Marina ihren Schwager.
    »Gerne. Aber nur wenn er selbst es will«, antwortete Cícero.
    »Tu das, mein Sohn«, sagte Seu Jorge. »Wir werden dich vermissen, aber hier, an diesem letzten Fleck der Erde, gibt es keine Zukunft für dich.«
    Dona Marina wand ein: »Aber bleib noch eine Weile bei uns, du warst so lange fort.«
    Júlio hatte sich alles schweigsam angehört. Er dachte nach. Vermutlich war es wirklich eine gute Sache, für die Polizei in Imperatriz zu arbeiten, aber er hatte Angst davor, wieder so etwas wie am Araguaia zu erleben. Und sein Vertrauen in den Onkel war nicht mehr dasselbe. Vor dem Schlafen verstaute Júlio das Hemd, die Stiefel und das Barett in der Plastiktüte, die Uniformhose ließ er an. Als er sich in seine Hängematte legte, fühlte er etwas in der Hintertasche. Es war der Umschlag mit dem Geld aus Xambioá. Er wusste gar nicht, wieviel er überhaupt zusammengespart hatte, und so zählte er im trüben Schein der Lampe Note für Note, Münze für Münze. Es waren neunhundertzwanzig Cruzeiros und achtzig Centavos übrig, mehr, als er sich je vorgestellt hatte, zu besitzen, fast zu viel. Selbst sein Vater hatte wahrscheinlich noch nie eine so große Menge auf einmal in den Händen gehalten. Es war all das Elend, das er erlebt hatte, wert gewesen, die schlaflosen Nächte, all die Qualen und Ängste, und sogar die Toten waren nicht umsonst.
    Eine Woche später fuhr er mit Cícero nach Imperatriz. Ein Freund des Onkels nahm sie in seinem Laster mit. Während der Reise sprach Júlio kaum ein Wort.

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