Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Auf dem Tocantins hatte er mit siebzehn Jahren zum ersten Mal Sex gehabt, mit Ritinha, im März 1972, im Fluss hatte er mit seinen Brüdern Pedro und Paulo gespielt, die nun in São Luís lebten, der Hauptstadt des Bundesstaats Maranhão, und mit denen er manchmal telefonierte. Am Ufer des Tocantins war er aufgewachsen, während seine Mutter – die heute, dreiundsiebzig Jahre alt, bei Paulo in São Luís lebte – Wäsche wusch und die Tiere versorgte, von denen sich die Familie ernährte.
Der Vollmond leuchtete über dem Wald und warf bläuliches Licht auf den Fluss. Am liebsten wäre er hier geblieben. Doch er wusste, wenn er die Stadt nicht verließ, würde er nie aufhören können, als Pistoleiro zu arbeiten. Schon an Silvester 2004 hatte er seiner Frau versprochen, dieses Leben aufzugeben. Doch ständig neue Anfragen hatten ihn daran gehindert. Im März 2005 hatte er zwei Aufträge abgelehnt, aber den dreitausend Reais, die ihm ein Landbesitzer aus Dom Eliseu in Paraná angeboten hatte, um seinen Schwiegersohn loszuwerden, der die Tochter schlug, hatte er nicht widerstehen können. Bekannt für seine Diskretion und Effizienz, erhielt Júlio mindestens einmal im Monat den Anruf von jemandem, der an seinen Diensten interessiert war. Er würde sich niemals zur Ruhe setzen können, wenn er weiter in Porto Franco blieb. Und wenn er weiter als Pistoleiro arbeitete, würde er seine Ehe aufs Spiel setzen.
An seinem einundfünfzigsten Geburtstag, am 23. Juni 2005, hatte seine Frau ihm unter Tränen erklärt, dass sie kein weiteres Jahr mit einem Mörder verheiratet sein wolle. Entweder er gab dieses Leben auf, oder sie und die Kinder würden gehen. So sehr es ihn störte, dass seine Frau ihn unter Druck setze, so genau wusste er, dass sie recht hatte. Er mochte nur nicht hören, dass er in die Hölle käme, wenn er weiter Menschen tötete. Seit sie in diese evangelikale Kirche Assembléia de Deus ging, sagte sie ihm immer wieder, dass es nicht genüge, nach einem Mord zehn Ave-Marias und zwanzig Vaterunser zu beten, wie Júlio es noch immer tat. Sie sagte, Gott würde ihm erst verzeihen, wenn er tatsächlich bereue.
»Aber ich bereue doch«, sagte Júlio.
»Würdest du bereuen, würdest du es nie wieder tun. Außerdem steht in den Zehn Geboten, du sollst nicht töten«, antwortete sie.
»Das weiß ich selber.«
»Du weißt es, aber du handelst nicht danach.«
»Es ist meine Arbeit. Was soll ich denn tun?«
»Diese elende Arbeit aufgeben und etwas Neues beginnen. Ich warne dich. Wenn du so weiter machst, gehe ich fort und nehme die Kinder mit«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme, aber mit einer Bestimmtheit, für die Júlio sie einmal mehr bewunderte.
Die einzige Person, die er mehr als seine Frau achtete, war seine Mutter. Seine Frau hatte immer recht. Auch und vor allem, wenn sie ihm widersprach. In zweiundzwanzig Ehejahren war er ihr gegenüber nicht ein einziges Mal laut geworden. Wenn seine Frau ihn schimpfte, hörte er schweigend, mit gesenktem Kopf zu. Er könne nicht ohne sie leben, die Mutter seiner Kinder und Frau an seiner Seite, sagt Júlio. Sie hatte es verdient, in eine andere Stadt umzuziehen, wo sie endlich in Frieden leben könnten. Im Lastwagen schaute Júlio seine Frau an, die erleichtert wirkte, ganz ruhig. Er musste an all die schlimmen Momente denken, die sie seinetwegen durchgemacht hatte. All die durchwachten Nächte in Sorge, ob er wieder zurückkäme. Der erste Teil der Reise, von Porto Franco nach Palmas, war erst der Anfang eines Weges, der das Leben der Familie verändern würde. Er legte den linken Arm um seine Frau und musste an ihre erste Begegnung denken.
Es war im November 1983. Júlio hatte von einem Geldverleiher aus Teresina, der Hauptstadt von Piauí, den Auftrag erhalten, einen Bankangestellten zu ermorden, der ihm Geld schuldete. Er sollte dafür fünfhundertfünzigtausend Cruzeiros erhalten, das war knapp das zehnfache des damaligen Mindestlohns. Als er in Teresina ankam, erwartete ihn bereits ein Angestellter des Geldverleihers am Busbahnhof. Der Mann, der sich als Sérgio vorstellte, fuhr ihn in einem braunen Kombi zu der Bank, in der das Opfer arbeitete. Der Name des Mannes, den er töten sollte, war Adilson.
»Der Chef hat diesem Trottel eineinhalb Millionen geliehen, die er bis heute nicht zurückgezahlt hat. Die Schulden werden immer größer, wegen der Zinsen, und der Dummkopf sagt, so könne er es niemals zurückzahlen«, erzählte Sérgio, während sie
Weitere Kostenlose Bücher