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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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über die Karte. „Wir werden also doch im Freien übernachten“, sagte er. „Heute beginnt die Abenddämmerung, und zwar in ungefähr acht bis neun Stunden. Bis dahin müssen wir einen entsprechenden Unterschlupf gefunden haben. Es sind heftige Gewitter zu erwarten.“ Er blickte über den Nebel, der Hunderte von Metern unter uns schwamm. „Den Weg können wir uns nicht aussuchen; so führt er weiter …“ Er bezeichnete auf der Karte eine schnurgerade Linie in Richtung der Rakete.
    „Wir müssen trotzdem noch eine halbe Stunde warten“, gab ich zu bedenken. „Der Abstieg ist, wie bekannt „Der Abstieg wird leichter sein als das Klettern“, unterbrach mich Arsenjew. Als ich ihn erstaunt ansah, legte er mir mit einer vielsagenden Geste die Hand auf die Schulter. Bald darauf entfernte sich Rainer.
    Der Professor hielt seinen Helm gegen meinen, so daß man die Stimme auch ohne Radio verstehen konnte. Er schaltete den Apparat aus und sagte: „Es ist nicht nötig, alles zu erzählen.“
    „Wegen Rainer?“
    Er nickte. Da der Chemiker wiederkam, sprachen wir nicht weiter. Wir lehnten uns mit dem Rücken an den Felsen und starrten, die Augen vor Müdigkeit nur noch halb geöffnet, in den nebligen Abgrund. Seit einer Weile ging in den Höhen etwas Eigenartiges vor. Die Wolken wurden dick wie Fischleim, den man in kochendes Wasser schüttet, flossen in Ringen auseinander, drehten und wanden sich, wurden immer leichter, zarter, durchsichtiger, bis sich plötzlich ein „Fenster“ in ihnen zeigte. Rasch verschwand es wieder, aber daneben erschien ein anderes. Der Himmel schimmerte hindurch. Immer weiter trieb der Wind die bauschigen Wolkenbündel auseinander.
    „Verdammt!“
    „Warum fluchen Sie denn?“ fragte der Astronom.
    „Der Himmel, Professor, sehen Sie sich doch den Himmel an!“
    Der Himmel war grün, durchsichtig wie ein Smaragd, als ob die Farbe der ersten, jungen, von der Sonne durchschienenen Gräser in ihm eingeschmolzen wäre. Hoch droben schwammen federleichte goldene Wölkchen.
    „Sicher Kohlenoxyd“, meinte Rainer. Ich freute mich, daß er diese Bemerkung machte. So war er also doch nicht völlig apathisch.
    Unterdessen glänzte, von den Lichtstrahlen berührt, da und dort der Nebel auf, und die Ränder einer großen Wolke schienen in Brand zu geraten. Dahinter aber, tief im Westen bereits, lugte eine riesige Feuerscheibe hervor. Wenige Augenblicke später wurde es unerträglich heiß. Die Nebel waren auf einmal wie von flüssigem Metall überflutet. Gleich hinter den letzten Schatten, die mit unvorstellbarer Geschwindigkeit bis in die fernsten Fernen enteilten, flammten wahre Orgien des Lichtes auf. Aus den Tiefen wuchsen Berge glühenden Kupfers empor, blutrote Abgründe, Grotten und Höhlen mit zerfließenden Wänden taten sich auf, die Sonne durchstrahlte sie mit ihrem Glanz und brach goldene Galerien aus dem unruhigen Magma. Dieser ganze Ozean stillen, schweigenden Feuers atmete. Veilchenblaue und rosenrote Dünste, in denen vielfältige Regenbogen flimmerten, stiegen von ihm auf. Das alles dauerte so lange, bis sich eine dichte Wolke vor die Sonne schob. Die leuchtenden Nebeltäler erloschen und füllten sich mit einem unbestimmten Grau.
    „Für dieses Schauspiel müssen wir teuer bezahlen“, sagte Rainer verdrossen. Ich legte das Seil um und reichte das andere Ende Soltyk. Er befestigte den Karabiner an dem Ring seines Gürtels und schritt auf den Abhang zu. Als erster ging Arsenjew, hinter ihm ich, dann folgte Soltyk und als letzter Rainer, der kaum noch die Füße heben konnte. So begann der Abstieg, die nächste Etappe auf dem Weg zur Rakete.
    Der Nebel war manchmal so dicht, daß sogar die Silhouette des vor mir gehenden Astronomen darin verschwand. Der Blick fand keinen Halt, versank in dem uferlosen Grau. Die Umrisse des Weges, der nächsten Felsen, ja selbst die der ausgestreckten Hand verwischten sich. Mir war, als müßte ich selbst in diesem Nebel zerfließen. Mein Zustand glich einem gespenstischen Traum, in dem man plötzlich die Wirklichkeit des eigenen Seins nicht mehr empfindet. Ab und zu rief ich die Gefährten an, und ihre Stimmen verscheuchten für eine Weile das Gefühl der Einsamkeit.
    Unter unseren Sohlen klang eine Zeitlang hell der Fels, dann knirschte das Gestein einer Geröllhalde. Nach drei Stunden beschwerlichen Marsches wurden die Schritte leiser, und die Schuhe versanken in lockeren Boden. Wir sahen nicht, ob wir uns bereits auf der Ebene befanden oder

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