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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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untersteht und richtet sich nach den Gesetzen der Mathematik. Sie hilft dem Ingenieur Brücken und Raketen bauen, dem Geologen Minerale tief in der Erde finden, dem Physiker die Atomkraft befreien. Wir nehmen also nicht nur mechanische Hände, Muskeln und Augen mit uns, sondern auch ein mechanisches Hirn. Ich bezeichne diese Maschine so, weil wir die Art, in der sie wirkt, unserem eigenen Gehirn abgesehen haben. Aber ich glaube, ich muß euch das näher erklären.
    Als die Menschen lernten, immer vollkommenere Dampfmaschinen, Turbinen, Explosionsmotoren und Werkzeugmaschinen zu bauen, meinten sie, daß man alles in der Welt auf irgendein mechanisches Modell beziehen könne. Deshalb hielten sie auch das Gehirn nur für einen komplizierten Uhrenmechanismus und nahmen an, daß das Erinnerungsvermögen auf der Bildung irgendwelcher ,Abdrücke‘ oder ,Fotografien‘ im Hirn beruhe. Einer solchen Auffassung kann man aber nicht beistimmen; denn im Gehirn mangelt es ganz einfach an Platz, um in dieser Weise die ungeheure Zahl von Erinnerungen und Kenntnissen aufzubewähren, die jeder Mensch besitzt. Der Irrtum liegt in der Annahme, daß das Gehirn eine große ,Kartothek‘, ein ,Lager‘ sei und daß das Gedächtnis, selbst das Erinnern an irgendein Ding – und nun paßt gut auf – auch wieder ein Ding sei. In Wirklichkeit ist es indessen kein Ding, sondern ein Prozeß. Das bedeutet also – etwas Fließendes, Bewegliches. Ich werde euch nicht viel darüber erzählen; aber vergegenwärtigt euch eines: Wenn sich die Materie in ewiger Bewegung befindet, dann ist der Gedanke so etwas wie ,Bewegung, zur Potenz erhoben‘. Mobilis in mobili – beweglich im Beweglichen, das ist eigentlich die Devise und das Geheimnis des Gehirns, das Geheimnis einer riesigen Wolke milliardenfach kreisender Ströme. Und auf dieser Grundlage arbeitet auch der Marax. Wo Ströme auftreten, muß auch ein Ursprung, eine Quelle, müssen Wege, Leitungen vorhanden sein. Das Grundelement, aus dem sich das Gehirn aufbaut, ist das Neuron, daß heißt eine Zelle mit Ausläufern von Nervenfäden, die sie mit anderen Zellen verbinden. Das Grundelement des mechanischen Hirns ist die Kathodenröhre. Der Marax besitzt rund neunhunderttausend dieser natürlich sehr kleinen Röhren. Ihr seht aber, welch große Räume sie trotzdem einnehmen. Das menschliche Gehirn stellt eine vollkommene technische Lösung dar: Etwa zwölf Milliarden Zellen finden darin Platz; das bedeutet, daß sich 10 10000 mögliche Verbindungen untereinander ergeben. Diese Zahl sagt euch wenig. Sie ist größer als die Zahl der Atome aller Planeten, Gestirne und Nebel, die man durch das stärkste Teleskop in den Tiefen des Weltalls wahrnehmen kann. So unerschöpflich sind die Möglichkeiten unseres Hirns! Die des Marax sind erheblich bescheidener. Aber einen großen Vorzug hat er gegenüber dem Menschenhirn; er arbeitet schneller. In den Nervenfäden legt eine Mitteilung einige Dutzend Meter pro Sekunde zurück, in den Drähten des Marax dagegen dreihundert Millionen Meter. Ihr begreift nun, wie ungeheuer der Zeitgewinn ist.“
    Der Professor trat an das Pult, legte die Hand auf die bernsteinfarbene, flimmernde Oberfläche des Marax und fuhr fort: „Ich will dem Marax einmal eine Aufgabe stellen. Es handelt sich um eine lineare Differentialgleichung.“
    Er riß ein Blatt Papier aus seinem Notizbuch, schrieb einige Formeln darauf, drückte einige Knöpfe und warf dann einen weißen Hebel herum. Sofort zeigte sich auf einem der Schirme eine unbewegliche, grünlich leuchtende Linie.
    „Das ist die Lösung. Wenn ich sie in Zahlen ausgedrückt haben will, muß ich dies besonders anfordern.“
    Der Professor drückte auf einen anderen Knopf. Aus einem engen Spalt fiel der Abschnitt eines Papierstreifens, der mit mathematischen Zeichen bedeckt war.
    „Das war doch schon eine reichlich schwierige Aufgabe, nicht wahr, Herr Professor?“ fragte einer der Jungen.
    „Nicht so schwierig wie undankbar; denn sie führt durch ein furchtbares Gewirr von Berechnungen. In früherer Zeit, als es noch keine elektrischen Hirne gab, benötigte ein bekannter Mathematiker über ein halbes Jahr, um diese Aufgabe zu lösen.“
    „Und hier erschien die Lösung im gleichen Augenblick, als Sie auf den Knopf drückten, nicht wahr, Herr Professor?“
    Chandrasekar schüttelte den Kopf. „Nicht im gleichen Augenblick. Das ist eine Täuschung. Von der Erteilung des Auftrages bis zum Erscheinen des Ergebnisses verging

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