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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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am Ende liebt man sich nur noch mechanisch, im Autopilotenmodus. Man ist weniger aufmerksam, weniger zärtlich. Man ist weniger da.
    Ich habe Mist gebaut, und ich habe Lola enttäuscht.
    Man sollte seine Freundin nie enttäuschen. Das habe ich zu spät kapiert.
    Eine verliebte Frau kann alles wegstecken, oder fast alles. Sie kann ein ganzes Päckchen Taschentücher nass heulen und ihren Liebsten trotzdem mit diesem magischen Leuchten in den Augen anschauen, das ihn in ein anderes Licht taucht und ihn glauben machen kann, dass er superintelligent, unersetzlich, einzigartig ist. Weil sie, solange sie ihn liebt, selbst daran glaubt.
    Aber an dem Tag, an dem die Scheinwerfer ausgehen, an dem Schluss ist mit dem Zauberlicht, an dem Tag, an dem sie sagt: »Ich gehe«, kann man ihr lebwohl sagen. Endgültig.
    Wenn Frauen gehen, kommen sie nicht wieder. Blöd, aber ist so. Sie hinterlassen in tausend Stücke zerbrochene Typen, denen es im Nachhinein leidtut und die sich erdolchen könnten vor lauter Reue, dass sie Mist gebaut haben.
    Typen, die dann wirklich allein dastehen.
    An die Rolle des Liebsten kann man sich gut gewöhnen, finde ich. Wenn es dann vorbei ist, fehlt es einem. Die Tage sind plötzlich leer, haben zu viele Stunden. Wenn man seine Freundin enttäuscht, dann packt sie das Podest, das sie extra errichtet und mit einem schönen roten Teppich geschmückt hat, auf der Stelle wieder ein.
    Ende der Vorstellung. Danke fürs Kommen. Auf Wiedersehen.
    Und dann ist nichts mehr zu machen, um die Maschine zu retten, der Absturz ist garantiert. Man fällt tief, sehr tief, sinkt bis weit unter den Meeresspiegel und bleibt im Schlamm stecken.
    Total erdölverklebt und manövrierunfähig.
    Ich werde sie noch lange vor mir sehen, die Augen meiner Lola an dem Tag, an dem sie aufgehört hat, mich für den süßesten und tollsten Typen auf Erden zu halten.
    Es ist das Gegenteil von den Geschichten, die man Kindern erzählt: Lola hat meine Kutsche mit einem Schlag in einen Kürbis verwandelt. Ich war ein Märchenprinz, ein lebender Gott, und zehn Minuten später habe ich mich in der schrumpeligen Haut einer gottverdammten Kröte wiedergefunden. Ich fühlte mich jämmerlich und voller Warzen. Ich kam mir mies vor.
    Vielleicht ödet mich mein Leben deshalb so an. Nicht nur wegen der Dreitagejobs und der vielen Stunden, die ich am Kanal oder bei meinen Eltern rumhänge. Sondern auch wegen der Leere, weil ich auf niemanden warte. Weil niemand auf mich wartet.
    Alle anderen sagen mir, Mädchen gäbe es wie Sand am Meer. Mir kommt das nicht so vor. Keine Einzige weit und breit – keine Einzige! –, die an Lola ranreicht.
    An manchen Tagen möchte ich wieder Kind sein. Ich möchte wieder in die Schule gehen und um fünf Uhr schreiend rausgerannt kommen, die Arme weit ausgebreitet, um Flugzeug zu spielen, mit meinem riesigen Ranzen, der mir für später schon mal den Rücken kaputt macht. Ich möchte meine schulfreien Tage damit verbringen, Zeichentrickfilme zu gucken und mich mit Nussnougatcreme vollzustopfen oder mit meinem Gameboy zu spielen, bis ich Blasen an den Fingern kriege. Ich möchte mich für Goldorak-der-schneller-als-das-Licht-das-Universum-durchquert halten oder für Inspector Gadget, der gegen Doktor Kralle kämpft. Nicht um die Geschichte noch mal von vorn anzufangen, sondern um nicht mehr verliebt zu sein, um mir wieder sagen zu können, dass Mädchen blöd sind, und nicht zu verstehen, was die Großen an ihnen finden.
    Um einfach meine Ruhe zu haben wie mit acht oder zehn. Mehr nicht.
    Was das Älterwerden für Vorteile haben soll, ist mir zur Zeit schleierhaft.
    Wie der Zackenbarsch sagen würde, der nie um eine gute Formulierung verlegen ist: Mir fehlt es ein bisschen an Perspektive.
    Meine Kumpels sind fast alle in einer Beziehung, manche sogar verheiratet. Die Freundin von Stef ist schwanger, mein Bruder hat schon zwei Kinder. Meine Schwester zieht seit zwei Jahren das Kind von ihrem Freund groß. Sie haben fast alle einen Job, den sie zwar nicht unbedingt toll finden, aber so ist das Leben – man muss essen, für das Baby Windeln kaufen, Benzin fürs Auto, den Kredit für den Fernseher und den Computer abstottern.
    Und ich, ich sitze da und schaue zu, wie das Wasser unter den Brücken durchfließt, in der Hoffnung, dass das Schicksal mir irgendwann auf die Schulter klopft. Wenn es so weitergeht, werde ich anfangen, an den Bierdosen vom Zackenbarsch zu reiben für den Fall, dass vielleicht ein Geist drin

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