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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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ist.
    Ein Typ in meinem Alter sollte nicht so reden, ich weiß. Mit achtundzwanzig ist man erwachsen, da hat man abgeschlossen mit dem ganzen Blödsinn: Liebesgeschichten und Co., gutbezahlter Superjob, ein Leben wie im Traum. Lola und ich, so viel ist jetzt sicher, das war nicht fürs Leben.
    Aber ohne sie ist es auch kein Leben.

 
    V or zwei Tagen haben wir uns abends bei Freunden zum Essen getroffen. Wir haben über Arbeitslosigkeit geredet, über die Krise, die Chefs, die Banker, die sich so viel wie möglich in die eigene Tasche stecken.
    »Dass die nicht zusammenbrechen unter der Last!«, hat Sara, Stefs Freundin, gemeint und gelacht.
    Gegen elf ist dann Lola mit dem Blödmann aufgekreuzt, mit dem sie seit ein paar Wochen zusammen ist. Einer von diesen unerträglichen Typen, freundlich, cool, sympathisch, den alle deine Freunde gern als Bruder und alle deine Freundinnen gern als Lover hätten.
    Das hat mir mit einem Schlag die Laune versaut.
    Ich schielte unauffällig zu ihr rüber. Wenn sie wenigstens dick geworden wäre oder sich mit der Gartenschere die Haare geschnitten hätte – aber nein, im Gegenteil: Ihre Schönheit wurde immer schlimmer.
    Ab und zu begegneten sich unsere Blicke, ihrer glitt über mich hinweg, es war wie eine brennende Wunde.
    Ich bin noch eine Weile in meiner Ecke sitzen geblieben, lange genug, um mich mit Whisky Cola Light zuzuschütten, den ich immer ohne Cola trinke. Dann bin ich gegangen, allein, würdig, wie ein poor lonesome Trottel. Draußen regnete es.
    Ich hatte keine Lust, gleich nach Hause zu gehen. Die Freunde, bei denen das Essen war, wohnten am Stadtrand, deshalb hatte ich bis ins Zentrum ein ordentliches Stück Weg vor mir. Das war mir recht. Mir war schlecht vom Saufen und vom Liebeskummer, das musste alles verarbeitet werden.
    Seit ein paar Monaten kriege ich, wenn meine Eltern mich besoffen nach Hause kommen sehen, eins aufs Dach, dass es kracht. Vor allem von meinem Vater. Er kommt einfach nicht damit klar, dass ich mit knapp achtundzwanzig immer noch bei ihnen wohne. Oder vielmehr, dass ich zu ihnen zurückgezogen bin.
    Am Anfang lief alles bestens: Ich war gerade sitzengelassen worden und vollkommen fertig mit der Welt, da behandelten sie mich wie ein rohes Ei. Gedämpftes Licht, Verständnis, Schweigen. Aber nach und nach ging es mit dem Familienklima bergab. Und wenn ich jetzt nach Hause komme, ist die Zeitung auf dem Tisch ausgebreitet, alle Jobanzeigen fein säuberlich mit rotem Filzstift umrandet.
    Mein Vater geht in zwei Jahren in Rente. Das wird das wenige, was er im Monat verdient, halbieren. Wenn mein Arbeitslosengeld ausläuft, werde ich ein hungriges Maul mehr sein, das er stopfen muss – ich kann verstehen, dass ihn dieser Gedanke frustriert. Wenn es nach meiner Mutter ginge, könnte ich noch zehn Jahre bleiben, sie hätte nichts dagegen. Alles lieber, als mit ihm allein dazusitzen, er ist nämlich von der wortkargen Sorte, und damit hat sie ihre Mühe. Aber auch wenn sie froh ist, ihren Kleinen wiederzuhaben, geht sie mir trotzdem auf den Senkel. Ich soll Bescheid sagen, wenn ich ausgehe, mich zurückmelden, wenn ich wiederkomme. Meine schmutzigen Klamotten in den Wäschekorb stecken, mein Zimmer aufräumen, mein Bett machen.
    Das ist normal, ich weiß. Ich mag es nur nicht, wenn man mir das sagt. Ich möchte die Dinge erledigen, wann ich will. Oder eben nicht, dann ist das mein Bier. Ich habe das Gefühl, wieder ein Jugendlicher zu sein, und ich weiß noch gut, wie mich das angekotzt hat. Und heute ist es noch schlimmer, weil ich eine Weile allein gelebt habe und dann mit Lola.
    Ich wäre gern anderswo, aber wo?
    Ich wäre gern anderswo oder ein anderer. Jemand, der eines schönen Morgens die Tür hinter sich zumachen und weit weggehen könnte, den Kopf voller Pläne und einen Rucksack auf den Schultern, statt im Nest zu hocken und gefüttert zu werden. Ich komme mir vor wie ein alter Kuckuck, der nicht flügge werden will.
    Ich brauche zu viel Platz.
    Oder vielleicht ist es das Nest, das zu klein für mich ist.

 
    I ch habe Schritte hinter mir gehört und eine Frauenstimme, die rief: »Cédric?«
    Mein Herz ist stehengeblieben. Lola hat es sich anders überlegt, sie rennt auf mich zu, sie liebt mich noch immer, ich breite die Arme aus, und alles fängt von vorn an, trallali, trallala .
    Ich habe mich umgedreht. Es war Maïlys, Stefs Cousine, die auch bei dem Essen war. Maïlys, die Klette. Sie ist seit mindestens einem Jahr hinter mir her.

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