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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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der Zackenbarsch sich wundert, ist das selten genug, um interessant zu sein.
    Am anderen Ufer, noch weit weg, habe ich diesen komischen Typen näher kommen sehen, der immer mit großen Schritten und leicht vorgebeugt läuft, als hätte er Bauchkrämpfe und müsste dringend hinter den nächsten Busch. Heute ging er nicht so schnell, im Gegenteil. Er schob ein komisches knallbuntes Gerät vor sich her. Eine Art tiefergelegten Kinderwagen mit durchsichtigem Verdeck, unter dem sich irgendetwas befand. Aber von da, wo ich stand, konnte ich nicht sehen, was.
    Ich habe gesagt: »Was kutschiert der denn da rum?«
    Der Zackenbarsch hat die Nase hochgezogen und gemeint: »Hmfff … Keine Ahnung. Jedenfalls bewegt es sich.«
    Fast gegenüber von unserem Platz, unter der Brücke, waren zwei Jungs, die gerade einen Pillendeal am Laufen hatten. Ich habe sie schon öfter hier rumhängen sehen, da werden wir mal eingreifen müssen, der Zackenbarsch und ich. Wir haben hier durch den Bierdosenstaudamm schon genug Umweltverschmutzung und wollen uns nicht auch noch mit dem Abschaum der nördlichen Vorstadt belasten.
    Ich hab nichts gegen Leute, die sich auf diese Art schöne Träume verschaffen. Ich selbst wäre an manchen Tagen ohne meine Shisha auch nicht besonders gut drauf. Es würde mir an Sauerstoff fehlen. Aber diese Scheißteile, die machen, dass die Augen tot aussehen und das Gesicht wie ein vergammelter Schinken – nein danke. Und Dealer kotzen mich sowieso an. Denen ist es scheißegal, dass sie junge Leute kaputtmachen, dass sie Zombies zurücklassen, Hirntote. Hauptsache, sie zocken ab. Ich sehe immer mehr von diesen Mistkerlen hier rumhängen. Genau zwei Neuronen haben sie: eins, um böse, und eins, um dämlich zu sein. Wenn ich auf mich hören würde – und ein bisschen mehr Muskeln hätte –, würde ich ihnen die Fresse einschlagen, diesen Schweinen.
    Ich habe den Typen mit seiner Karre direkt auf sie zusteuern sehen. Da habe ich mir gesagt: Ach so, okay, alles klar. Deshalb kommt er daher wie ein gehetztes Gespenst: Er ist bloß ein Süchtiger, der sich seinen Stoff holt wie ein Esel sein Heu. Oder womöglich ein Großhändler? Vielleicht ist sein Wagen voll mit Nachschub?
    Einer der Kerle hat ihm zugewinkt, sie sind direkt auf ihn zu. Sie waren verabredet, das war klar. Ich hatte voll ins Schwarze getroffen.
    Der Magersüchtige ist stehen geblieben, er hat sich zu der Plastikplane vorgebeugt, und ich hatte den Eindruck, dass er was sagte. Entweder er führte Selbstgespräche, oder er redete mit seinem Hund. Sicher ein Dobermann oder so was in der Art, er füllte die ganze Ladefläche aus. Er hatte ihn in eine Decke eingewickelt. War wohl kälteempfindlich, der Köter.
    Die beiden Mistkerle haben irgendetwas geschrien. Der Kleinere ist auf den Jungen zu, der andere ist etwas zurückgeblieben und hat einen Spruch abgelassen, ich habe nur »Affe« verstanden. Der Kurze hat eine Frage gestellt, in der das Wort wieder vorkam. Ich habe gedacht, das wäre der Spitzname des Jungen, »der Affe«.
    Dann ist alles sehr schnell gegangen. Der Kleine hat mit einem Ruck die Plane weggezogen. Das, was darunter war, hat einen komischen Schrei ausgestoßen.
    Der Zwerg ist mit einem Satz zurückgesprungen und hat gebrüllt: »Ach, du Scheiße!«
    Ich habe nicht verstanden, was er dann noch gesagt hat, weil der Zackenbarsch gleichzeitig »Scheiße!« geschrien hat. Das hat sich überlagert. Unter der Plane war etwas, das so aussah wie ein Mensch, aber auch wieder nicht ganz. Es war halb unter seiner Decke versteckt, und ich wollte lieber nicht genauer wissen, was es war. Wir waren zwar am anderen Ufer, aber schon von dem wenigen, was zu sehen war, konnte einem übel werden. Ein großer verbeulter Kopf mit einem Riesenmund, magere Arme, völlig verkrümmte Hände.
    »Was ist das denn für ’n Film?«, hat der Zackenbarsch gefragt.
    »Kein Spielfilm«, habe ich gemeint. »Eher was Dokumentarisches.«

 
    D ie beiden Idioten sind sofort abgezogen. Auch wenn sie sich jetzt aufspielten, so taten, als hätten sie sich gut amüsiert, und sich auf die Schulter klopften – sie hatten richtig Schiss gekriegt.
    Nachdem die Clowns weg waren, habe ich den Typen beobachtet. Er half dem anderen, sich wieder richtig hinzusetzen. Ich habe gesehen, wie er mit ihm redete, seine Decke zurechtzog.
    Wer mochte das wohl sein? Sein großer Bruder? Jedenfalls kümmerte er sich um ihn.
    Vielleicht war er doch kein Drogensüchtiger. Auch nicht unbedingt

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