Der Poet der kleinen Dinge
wie er mir auf seine Roswell’sche Art zuwinkte, wild durch die Luft fuchtelnd, da habe ich mir gesagt, dass es dieses Mal weniger leicht, weniger lustig werden würde.
I ch habe Roswell gesagt, dass ich weggehen werde.
Er hat gefragt, wann. Ich habe ihm geantwortet, mir wäre gerade gekündigt worden, mit einer Frist von einem Monat – nicht ganz, wegen der Urlaubstage, die mir noch bleiben.
Er hat mit dem Kopf gewackelt, und sein Mund zitterte auf der einen Seite ein bisschen. Er wollte wissen, wo ich hingehen werde.
»Ich weiß noch nicht.«
»Kkkommssu wieder?«
»Vielleicht, irgendwann. Ich weiß es nicht. Ich kann es dir nicht versprechen, verstehst du?«
Er hat seine Katzenbewegung gemacht: Stirnstoß schräg nach oben, ins Leere. Sein Blick war plötzlich ernst und nachdenklich.
Er wollte mir gern etwas sagen, das wusste ich genau, aber es fällt ihm immer so schwer. Wenn er spricht, ist es, als müsste er die Wörter tief aus der Erde hervorbuddeln, sie eins nach dem anderen dem Lehm entreißen und einzeln mit Spucke befeuchten, damit sie glänzen.
Er hat es vorgezogen, zu einem seiner Gedichte anzusetzen, das ich unter Mühe entschlüsselt habe.
Wir werden nicht mehr durch die Wiesen gehen
Im ersten Morgenstrahl
»Werde ich dir fehlen?«
»Mja.«
»Du wirst mir auch fehlen.«
»Weisssichdoch. Ppech für dichh.«
»Na ja, so sehr auch wieder nicht! Mach dir mal keine Illusionen!«
»Du auchnich. Ich wollenur hölich ssein …«
»Na klar, ich wollte auch nur höflich sein! Weil ich sssehr nett bin!«
Er hat gelacht.
»Aleksh?«
»Ja?«
Er hat mir bedeutet, zuzuhören, und sein Gedicht weiter aufgesagt, so gut es ging:
Soll man auf der Mitte des Weges
schon zurückschauen?
Da hat er aufgehört. Als würde er warten. Und ich wusste nicht, was ich antworten sollte.
Natürlich würde ich nicht zurückschauen. Das hatte ich noch nie getan.
Aber in meinem Herzen war ein Rückspiegel. Um zu wissen, was ich hinter mir ließ, musste ich mich nicht umdrehen.
»Unn jetss immrovisierich für dichn Llied!«
Ich habe »Neeein!« geschrien.
Zu spät.
Roswell hatte schon aus voller Kehle einen absolut fürchterlichen Abschiedsgesang angestimmt.
»Wirst du wohl aufhören mit dem Radau, verdammt noch mal?!«, hat Marlène aus der Küche gebrüllt.
Wenn sie heraufgekommen wäre, hätte sie uns dabei erwischt, wie wir eng umschlungen den Tango neu erfanden.
A m nächsten Tag bin ich früh von der Arbeit weg. Ich habe in der Stadt zwei, drei Sachen besorgt und mir einen neuen Krimi geholt. Das ist seit ein paar Wochen das Einzige, worauf ich Lust habe. Es gibt solche Zeiten.
Als ich aus dem Tabakladen rauskam, habe ich Cédric und Olivier gesehen, die auf der anderen Straßenseite rumstanden, in einer Garage mit einem Ladenschild darüber. Ich bin hin, um hallo zu sagen. Ich wusste nicht, dass Oliviers Eltern einen Haushaltsgeräteladen besaßen. Ich war schon oft daran vorbeigegangen. Aber da war Olivier für mich noch ein durchgeknallter Fettsack, der mich anbellte, Wau! Wau! , …
Ich musste lachen, als ich daran zurückdachte.
Nach einer Weile sind Cédric und ich dann in Richtung Innenstadt los. Wir haben ein bisschen auf dem Platz vor der Kirche abgehangen und einem jungen Mann zugeschaut, der als Märchendrache verkleidet war und heldenhaft versuchte, Straßentheater zu machen. Cédric schaute mit großen Kinderaugen zu, er fand das toll, total cool, diese Art zu leben. Ich dagegen sah den fast leeren Platz und den armen Kerl, der ganz allein seine Nummer abzog, vor einer Handvoll aufgekratzter Kinder und ihren müden Müttern, die sich miteinander unterhielten, ohne wirklich hinzusehen. Er hat nicht viel Kohle eingesammelt mit seinem Hut. Reichensteuer musste der sicher nicht bezahlen. Das ist manchmal der Preis der Freiheit.
Arm bleiben zu wollen ist eine kostspielige Sache.
Ich war mal einen Sommer lang mit einem Italiener zusammen, der auf einem Einrad jonglierte und Feuer spuckte. Ich erinnere mich an den Geruch von hochgereinigtem Petroleum, den er verströmte. Kein Geruch, der Liebe weckt.
Aber gut, er war kein schlechter Liebhaber. Und ich mochte seinen Humor.
Ich habe mich von Cédric verabschiedet, als wir fast bei ihm zu Hause waren, und bin auf ein Stündchen zu Kaan gegangen, dem schönen Oud-Spieler. Er teilt sich mit seinen zwei Musikerfreunden eine Wohnung in der Fußgängerzone. Das ist nicht ideal für solche Rendezvous, aber sie sind so diskret, dass
Weitere Kostenlose Bücher