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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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rumgezupft. »Ach, ich weiß nicht … Keine Lust. Ich will niemanden neidisch machen. Ich zeichne nur für mich selbst. Nicht, um anzugeben.«
    Auf der furnierten Kommode stand auf einem weißen Deckchen, zwischen einem staubtrockenen Hochzeitsstrauß unter einer Glasglocke und einer Schneekugel mit einem Weihnachtsmann, ein Foto von einem frischverheirateten jungen Paar vor einer Kirche. Eine hübsche, üppige Blondine mit fröhlichem Blick und ein langer Lulatsch in einem engen schwarzen Anzug.
    Marlène ist meinem Blick gefolgt und hat eine ernüchterte Grimasse gezogen. »Das war am Tag meiner Hochzeit. Vor zweiundzwanzig Jahren …«
    Meine Hochzeit.
    Ich bin näher rangegangen, um die beiden besser zu sehen.
    Marlène, noch rank und schlank, als Meringe verkleidet, den Brautstrauß fest ans Herz gedrückt.
    Bertrand, der damals schon aussah wie heute, nur mit Haaren. Den Scheitel mit Pomade angeklatscht, die Krawatte etwas zu eng um den Hals.
    Marlène hat hinter meinem Rücken mit den Zähnen geknirscht: »Tja, man verändert sich, nicht?«
    Aus Höflichkeit habe ich geantwortet: »Ooch, so sehr nun auch wieder nicht.«
    »Pfff, veräppel mich nicht! Wenn ich mir anschaue, wie er damals war und was inzwischen aus ihm geworden ist …«
    Ohne sie anzusehen, habe ich gesagt: »Aber du hast dich dagegen nicht sehr verändert.«
    »Ich bin eine Frau, das ist normal. Da weiß man, wie man sich in Form hält. Wenn du gut auf dich achtest, wirst du in meinem Alter auch so aussehen wie ich.«
    Mir lief es kalt den Rücken runter.
    »Na ja, man darf sich auch nicht zu viel erträumen …«, hat Marlène noch hinzugefügt, mit den Augen gezwinkert und ihre Möpse vorgestreckt.
    Ich habe etwas enttäuscht getan.
    »Ach, das war doch nur Spaß! Mach dir keinen Kopf, es gibt jede Menge Männer, die Spiegeleier-Titten mögen!« Dann hat sie in die Hände geklatscht. »So, genug gequatscht! Ich muss Wäsche waschen. Hast du was für die Maschine?«
    Wir haben Marlènes Zimmer wieder verlassen, das Lächeln von Michel Sardou an der Wand, einen Bertrand mit Haaren, die Hochzeit hinter Glas und den Strauß unter der Glocke.
    Im Flur hat sie dann einen Sardou-Schlager vor sich hin gepfiffen, »La maladie d’amour«.

 
    A ls ich am nächsten Tag von der Arbeit kam, schrie Marlène in der Küche herum, mit dieser schrillen, hysterischen Mädchenstimme, die sie manchmal hat, wenn sie ihre Nervenkrise kriegt.
    Sie brüllte ihre Wut nur so raus, und ich hörte das Geschirr schon vom Garten aus scheppern.
    Ich bin hineingegangen und habe sie mitten in der Küche stehen sehen, krebsrot, mit wirrem Haar, vollkommen außer sich. Überall lagen Glasscherben und zerschlagene Teller.
    Als sie mich bemerkte, holte sie tief Luft, um sich wieder etwas zu beruhigen, aber ohne den Wasserkrug loszulassen, den sie gerade an die Wand schmeißen wollte.
    »Guten Tag«, habe ich gesagt.
    Sie wartete wahrscheinlich nur auf mich, um ihren ganzen Überdruck abzulassen. Jedenfalls hat sie mich sofort ins Vertrauen gezogen. »Weißt du, was er gemacht hat, dieser Hohlkopf?«
    Roswell hatte wohl wieder mal einen Einfall gehabt. Dabei roch es weder nach Popcorn noch irgendwie angebrannt, es musste etwas anderes sein. Vielleicht hatte er versucht, allein auf die Toilette zu gehen, was in der Regel eine Gesamtreinigung der Fliesen und des Klos bedeutete, dazu die Wäsche der Hose, der Unterhose und manchmal auch der Socken – wenn man so tatterige Hände hat wie er, ist die Sache mit den Reißverschlüssen und Hosenknöpfen nämlich ganz schön kompliziert.
    »Weißt du, was er gemacht hat, der verdammte Idiot?«
    Sie glühte vor Wut.
    Es war sicher die Toilette.
    Ich habe mich an den Tisch gesetzt und sie angeschaut.
    Ich musste nur abwarten.
    Sie drehte sich im Kreis wie eine vergiftete Ratte, sie schien fast zu platzen. Sie fing an, die Scherben zusammenzukehren, aber auf so unkontrollierte Art, dass sie sie nur weiter verteilte.
    Schließlich hat sie damit aufgehört, sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen gelassen und mit tonloser Stimme gesagt: »Er hat die Woche genommen!«
    Sie lauerte auf meine Reaktion. Offensichtlich dachte sie, sie hätte genug gesagt, damit ich empört aufsprang und anfing, mit ihr zusammen Geschirr zu zerdeppern.
    Ich habe gefragt: » Was hat Gérard genommen?«
    Marlène hat wütend mit den Achseln gezuckt. »Nein, doch nicht Gérard! Willst du mich veräppeln, oder was? Ich rede von Bertrand, diesem Trottel, diesem

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