Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
gab Gas. Langsam kroch die Kälte von seinen feuchten, lehmverschmierten Schuhen die Beine hoch. Er verfluchte diese verdammte Jahreszeit. Italien, das Land der Sonne, der Zitronen, der Mandelbäume? Das galt vielleicht für Palermo, nicht aber für Urbino. Im letzten Winter hatte Urbino mit Schneehöhen von über drei Metern zu kämpfen gehabt, und manche Dörfer oben auf dem Monte Dolciano oder dem Monte Polo waren nicht einmal mehr für den Schneepflug erreichbar gewesen. Die Sommer, die waren natürlich immer schon das, was sie sein sollten: heiß, sonnig, lang. Madonna , hatte sich noch nicht herumgesprochen, dass es auch in Italien vier Jahreszeiten gab? Und speziell in den Marken – echte eingeborene Marchigiani hörten das nicht gerne – gab es kühle Witterungen, die der französischen Normandie oder dem Norden Großbritanniens alle Ehre gemacht hätten.
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11.
Talia öffnete die Tür nicht selber, nein, das tat sie nie. Dafür hatte sie Juan eingestellt, den sie allerdings Fidel nannte, weil er aus Kuba stammte.
«Rrroberrrto, ciao», knurrte Fidel und zog Roberto mit einem festen Griff herein. «Würdest du die bitte ausziehen?» Er deutete auf Robertos lehmverschmierte Schuhe.
«Die auch?», fragte Roberto zurück und deutete auf seine ebenso lehmverschmierte Hose. Fidel grinste unverschämt.
«Wie ist die Stimmung, Juan?»
«Du wirst hier dringend gebraucht. Was willst du? Caffè , Wein, Eierlikör?»
Das mit dem Eierlikör war ein Witz, den Fidel machte, seit Thilo Gruber in Robertos Leben getreten war. Er hielt Eierlikör für ein deutsches Nationalgetränk.
« Caffè mit viel Zucker, und wenn du hast, irgendwas zu Essen. Ich sterbe vor Hunger.»
«Gnocchi mit einer sanften Rucola-Sahnesoße und ein zartes filetto di sogliola ?»
«Nicht schlecht. Dann vielleicht auch einen kleinen Verdicchio.»
«Mach ich, hombre .» Fidel schob Roberto vor sich her in Richtung Wohnzimmer, aus dem wildes Geschrei tönte. Roberto mochte den Kubaner, auch wenn er sich nicht erklären konnte, warum er diesen Job bei Talia verrichtete. Fidel putzte, kaufte ein, wusch die Wäsche, räumte auf, pflegte den kleinen Garten, kochte, organisierte Talias Termine und sorgte vor allem dafür, dass Talia tagsüber, wenn sie schlief, nicht gestört wurde. Das ging so weit, dass er auf der Straße lärmenden Studenten schon mal seine wirklich exorbitanten Muskeln zeigte, begleitet von der in holperigem Italienisch formulierten Androhung, sie einzusetzen, wenn nicht sofort Ruhe einkehrte. Natürlich war jeder in Urbino überzeugt, dass Fidel und Talia eine Beziehung führten, was jedoch Unsinn war, denn Fidel genoss genauso wie Talia sein ungebundenes Leben und, da er bisexuell war, sogar mit doppelt so großer Hingabe. Talia war da für ihn nicht mehr als hin und wieder ein kleiner Zwischenstopp. Umgekehrt ebenso.
«Roberto! Ein Glück!» Malpomena kam auf ihn zugestürmt und ergriff seine Hände. «Du machst dir keine Vorstellung. Keine. Eine Sechs-Stunden-OP am offenen Herzen mit anschließendem Exitus des Patienten wäre nichts dagegen.»
«Papperlapapp, sie übertreibt und sieht die Dinge düster und negativ, wie ständig, kann ich da nur feststellen. Ist denn je ein positives Wort über die Lippen unserer Schwester Malpomena gekommen? Heute jedenfalls nicht, oder sieht das hier irgendjemand anders», giftete Antonia. «Da ist ein Tunnel am Ende des Lichts, ist das nicht ihr Lebensmotto?»
«Wenigstens redet sie nicht so viel und so lange wie du», rief Talia, drückte Roberto einen lippenstiftgeschwängerten Kuss auf die Wange und versorgte ihn mit einer Überdosis von ihrem moschus-ledrigen Duft. «Und auf Malpomenas Todessehnsucht ist Verlass!»
«So wie auf deine Oberflächlichkeit», sagte Raffaella. «Und das strengt nicht weniger an.»
«Eben», warf sich Antonia dazwischen, «wo bleibt denn da die Verlässlichkeit, die Tugend der Beständigkeit, der Ausdauer! Und das Erbe, liebe Talia, verschleuderst du doch jetzt schon, das kommt, übrigens vielleicht sogar juristisch, einer Enterbung gleich, zumindest für deine Nachkommen.»
«Die es nicht geben wird! Nicht mit mir!», rief Talia gut gelaunt, als hätte Antonia ihr ein wunderschönes Kompliment gemacht.
Plötzlich schwiegen alle vier.
«Wie weit seid ihr denn in eurer Diskussion über den Erben, den die Baronessa sich wünscht?», fragte Roberto.
Schweigen.
«Heißt das, ihr habt noch gar nicht darüber
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