Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
gewaltig, beim Ersteren hatte er recht.
Keine fünf Minuten später öffnete Osvaldo das Rollgitter von innen. Ein merkwürdiger Geruch und eine auffallend hohe Luftfeuchtigkeit schlugen Roberto entgegen. Es dauerte eine Weile, bis er sich an das rötlich-bläuliche Licht gewöhnt hatte, das aus runden, riesigen Industrielampen auf eng gestellte und exakt gespurte Reihen von Pflanzenbottichen leuchtete, in denen Abertausende Setzlinge keimten, keiner höher als fünf Zentimeter. Einmal mehr wunderte Roberto sich, wie pedantisch Sergio war, das hätte er ihm nie und nimmer zugetraut. An einer Werkzeugwand hingen Gärtnergerätschaften, Ersatzerde in 50-Liter-Tüten stapelte sich in einer Ecke, und auf einem Tisch mit einer Edelmetallplatte türmten sich grünlich-braune Platten, die für Roberto wie pianelle, wie handgemachte Dachziegel, aussahen. Osvaldo widmete sich ihnen mit erstaunlicher Neugierde, befühlte, beschnupperte und betastete sie, und als Roberto so tat, als sehe er nicht hin, steckte er eine ein.
«Ein Gewächshaus», sagte Roberto und sah sich einen Setzling näher an. Petersilie? Oder Tomate? Auch egal. «Dai, ragazzi, andiamo», sagte er und verließ die Scheune. Franco folgte, Osvaldo drückte den Schließknopf für das Rollgitter und wartete bis zur letzten Sekunde, bevor er sich durch den gefährlich schmal werdenden Spalt hinausrollte.
«Das war knapp.»
«Warum bist du nicht früher durch?», fragte Roberto kopfschüttelnd.
Osvaldo rümpfte nur die Nase: Amateure …
«Ich verstehe es wirklich nicht», wollte Roberto ihn nicht von der Angel lassen.
«Deswegen bist du Poliziotto und ich nicht.»
Daraus wurde Roberto auch nicht schlauer, aber Osvaldo legte einen Schritt zu.
«Thilo will versuchen, mehr über meinen Großvater herauszubekommen», sagte Franco unvermittelt.
«Ich weiß, Franco», sagte Roberto ungnädig, er spürte, wie seine Geduld so langsam gegen null tendierte.
«Je mehr ich über ihn erfahren habe, desto mehr hatte ich das Gefühl, nichts über ihn zu wissen.»
«Manchmal ist es besser, die alten Geschichten ruhen zu lassen. Wie lange ist dein Opa schon tot?»
Franco antwortete nicht, stattdessen begann er, ein Lied zu summen. Ein Kinderlied. «Ninna nanna – cocco della mama.» Roberto musste sich beherrschen, um nicht mitzusummen. Als Kind hatte er nie ohne dieses Lied einschlafen können, sobald seine Mutter es jedoch angestimmt hatte, schon nach den ersten Tönen, lösten sich alle Spannungen des Tages und wichen einer wunderbaren, sanften Ruhe. Erstaunlich, wie präsent dieses Gefühl heute noch war. Manche alten Geschichten begleiteten einen eben doch ein Leben lang.
Robertos Handy klingelte, als er gerade den Zaun in Angriff nehmen wollte.
«Das gibt’s doch nicht!», pflaumte Osvaldo ihn an.
«Reg dich ab, camoscino .» Malpomena, sagte das Display. Roberto drückte das Gespräch weg.
«Lautlos. Jedes Handy kann lautlos. Auch dein alter Knochen.»
« Cazzo! Habe ich vergessen.»
«Ein Fehler, und alles kippt.»
«Ich hab’s kapiert, Osvaldo.»
Osvaldo rümpfte die Nase, steckte sich eine Zigarette zwischen die Zähne und zündete sie mit einem Streichholz an, das er in hohem Bogen in die Landschaft flitschte.
«Schreib doch gleich deinen Namen und deine Adresse auf das Streichholz», sagte Roberto.
«Fingerabdrücke auf Holz?» Osvaldo schüttelte mitleidig den Kopf.
«Eh, und was ist mit deiner DNA?»
Osvaldo erstarrte.
«Winzige Hautplättchen, der Schweiß auf deinen Fingern», setzte Roberto genussvoll nach.
Osvaldo ließ sich auf die Knie sinken und begann den Boden abzusuchen. Wieder klingelte Robertos Handy. Dieses Mal nahm er das Gespräch an. Er lauschte einige Sekunden.
«Bleibt, wo ihr seid. Ich komme sofort.» Hektisch steckte er das Handy ein und griff nach den Maschen des Zauns. «Beeil dich, Franco.»
«Was ist los?», fragte dieser alarmiert, und selbst Osvaldo unterbrach seine Suche für einen Moment.
«Antonia Del Vecchio ist überfallen worden.»
«Ach so», sagte Osvaldo, als wäre das eine gute Nachricht, und suchte weiter.
«Der Golem?», fragte Franco mit zitternder Stimme.
Roberto vermied eine Antwort und konzentrierte sich aufs Klettern.
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32.
«Er hat gestunken, nach Schweiß und Adrenalin, er war vermummt, er war plump, groß und mächtig, er bemühte sich, so zu sprechen, wie mit dünnem Intellekt ausgestattete Menschen glauben, dass Wesen aus dem Hades sprechen, nämlich
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