Der Portwein-Erbe
Brandbeschleuniger
in alle Welt geschickt. Otelo hatte versucht, ihn davon zu überzeugen, dass die Probleme der Gegenwart nur gelöst werden konnten,
wenn man in die Vergangenheit zurückging. Nur wie das geschehen sollte, und was es für ihn persönlich bedeutete, wusste er
nicht. Er wurde unruhig und nervös, je mehr sich der Zug Porto näherte.
Da klingelte das Mobiltelefon: Es war Sylvia. Nicolas’ Mund wurde trocken, er hörte an ihrer Stimmlage, dass etwas nicht stimmte.
»Kommst du voran? Ist das Wetter schön? Schmerzt der Arm noch? Hast du viel zu tun?«
Sie arbeitete eine Liste von Fragen ab. Kaum hatte er eine beantwortet, kam die nächste, bis sie schließlich zum eigentlichen
Anlass ihres Anrufs kam:
»Ich kann leider nicht kommen, Nicolas, so leid es mir tut. Meine Mutter ist krank. Das Herz, wie immer, und da |311| mir der Tod deines Onkels zu denken gibt, will ich in den Sommerferien zu ihr. Versteh mich nicht falsch . . .«
Nicolas verstand sie richtig und ließ ihr die Ausrede. Sylvia hörte sich viel zu unbeteiligt an, als dass er ihr geglaubt
hätte, außerdem war das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter nicht das beste. Trotzdem drückte Nicolas sein Mitgefühl aus,
äußerte sein Bedauern darüber, dass sie nicht kommen würde. Dabei wussten beide, dass sie sich belogen. Sie hatte von Anfang
an Widerstände gegen die Reise nach Portugal gehabt. Er war heilfroh deshalb, er hätte nicht gewusst, wie er nach den beiden
Tagen in Lissabon mit Sylvia hätte umgehen sollen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, er war feige gewesen. Er hätte ihr reinen
Wein einschenken müssen.
In Porto angekommen, suchte Nicolas als Erstes Pereira auf. Otelo hatte den Anwalt als absolut vertrauenswürdig beschrieben
und Nicolas angemeldet. Pereira war bester Laune und gut erholt. Er hörte sich Nicolas’ Bericht wortlos an und machte sich
Notizen. Dann erledigte er ein Telefonat und gab schließlich zu, dass er sich getäuscht hatte.
»Bei der Sache mit den leeren Fässern habe ich Ihnen zu wenig zugetraut. Also war es doch Diebstahl. Das mit dem Bergrutsch
. . .« Pereira zögerte. »Wer die Wege nicht kennt, verfährt sich schon mal.« Er hatte Nicolas’ bösen Blick offenbar bemerkt.
»Hinter dem Überfall an der Tankstelle würde ich, von der Art der Ausführung her, auf Leute aus dem Sicherheitsapparat schließen.
Nicht unbedingt den staatlichen, es kann auch ein privater sein. Und die Treppe . . .« Der Anwalt dachte nach, zog die Stirn
kraus und rieb sich die Augenbrauen, was er häufig tat. »Das war stümperhaft, aber wirkungsvoll. Allem Anschein nach hat niemand
mit Ihrer Hartnäckigkeit gerechnet.« Pereira schmunzelte. »Das mochte ich an Ihrem Onkel, er gab nie klein bei – und dann
so ein Ende . . .«
|312| »Wer weiß, ob es wirklich Herzversagen war.« Nicolas’ Bemerkung ließ Pereira erstarren. »Alles ist denkbar, Senhor Advogado«,
schob Nicolas vieldeutig nach.
Pereira ging zwischen Schreibtisch und Fenster hin und her. »Wir müssen Gonçalves entlassen. Ja! Sie müssen es tun, bevor
er weiteren Schaden anrichtet. Er wird nicht auf eigene Rechnung gehandelt haben. Sie können von Glück reden ... ja, jetzt
verstehe ich Sie. Ich werde mich um einen neuen Verwalter für Sie kümmern, oder kann diese ... wie heißt sie?«
»Lourdes . . .«
»Ja. Ist sie dazu in der Lage, Verantwortung zu übernehmen? Für ihre Aufgabe als Sekretärin finden wir schneller Ersatz. Gut,
dass Ihr Freund aus Berlin kommt, da fühle ich mich wohler, das gibt Ihnen Sicherheit.«
Pereiras Stimme hallte in Nicolas’ Ohren nach, als er im Zug nach Peso da Régua saß und auf den Rio Douro blickte. Der Fluss
war ihm vertraut, und Nicolas öffnete das Fenster und hielt den Kopf in den Fahrtwind, bis ihm die Augen tränten. Je weiter
er flussaufwärts fuhr, desto mehr fühlte er sich zu Hause. Die Weinberge waren ein gewohnter Anblick, ins Grün des Weinlaubs
mischte sich das Braun der Trockenheit, der Sommer nahm seinen Lauf. So bedeutsam waren Jahreszeiten für ihn noch nie gewesen.
In Nicolas’ Jackentasche brummte und vibrierte es.
»Hast hier ja ’nen echt geilen Turm abgestaubt, Alter«, sagte die Stimme aus dem Mobiltelefon. Also war Happe gelandet und
bereits auf der Quinta. Was er als Nächstes sagte, beunruhigte Nicolas jedoch zutiefst. »Aber hier steht alles offen, ist
das immer so? Klaut hier keiner? Mach dir keine Sorgen, ich pass auf,
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