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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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du niemandem |303| sagst, dass wir uns getroffen haben. Ich werde in drei Tagen auf der Quinta sein, ich komme ohne Ankündigung. Ich will sehen,
     was geschieht.«
    »Ich hoffe, dass ich bis dahin noch am Leben bin«, sagte Nicolas unwillig. »Wenn du nicht kommst, verschwinde ich.«
    »Ich weiß, es ist gefährlich allein, aber nicht mehr lange. Über deine Bewegungen bin ich informiert, auch über das, was auf
     der Quinta passiert. Ich weiß nur nicht, wer alles dahintersteckt.«
    »Gonçalves?«
    Otelo machte aus seiner Abneigung keinen Hehl. »Er ist ein kleiner Verwalter. Er verwaltet – im Auftrag anderer. Und jetzt
     sieht er eine Chance, dabei weiß er, dass er gehen muss.«
    »Weshalb bist du sofort nach der Beerdigung verschwunden?«
    »Man hat mich bedroht, wie gesagt. Es war ernst. Ich wusste ungefähr, aus welcher Richtung das kam. Da habe ich mich besser
     abgesetzt, ich bin alt, und hier habe ich Hilfe. Aber die Vergangenheit holt uns immer ein.«
    »Was zählt die Vergangenheit? Die Gegenwart ist wichtig.«
    »Bist du Anhänger Fukuyamas?«
    »In gewisser Weise . . .«
    »Der Apologet der Gegenwart. Er liefert dem Neoliberalismus und der Globalisierung die Ideologie, jeder Glaube hat seine Jünger.
     Früher nannten wir das Imperialismus. Alle reden heute, als wären wir ein Volk, als hätten alle die gleichen Interessen, als
     gäbe es keine Widersprüche. Das ist ein Witz.«
    »War Friedrich Kommunist? Wie passt das zusammen – Kommunismus und Unternehmer sein?«
    »Er war kein Kommunist. Wir waren viel schlimmer, die Kommunisten haben uns gehasst. Chico lehnte jede Herrschaft ab, auch
     die Diktatur des Proletariats. Bei euch in der |304| DDR war das Volk nie an der Macht, nur die Vasallen Moskaus. Du willst wissen, wer dein Onkel war? Mein bester Freund! Er
     war einer, der sich auch im anderen sah. Das ist das Wichtigste. Wir haben uns auf der Straße kennengelernt. Sie waren zu
     viert. Sie hätten mich totgeschlagen, auf der Straße, bei einer Demonstration, im Herbst nach der Revolution. Weißt du davon?«
    Nicolas hob fragend die Schultern.
    »Frederico hat mir geholfen, obwohl er nicht wusste, zu welcher Seite ich gehörte. Damals waren alle in Lager aufgeteilt.
     Waffen waren in Umlauf und Soldaten auf den Straßen. Frederico half mir, weil vier auf mich einschlugen, und ich lag bereits
     am Boden. Er ging auf den nächsten los, täuschte mit der Hand und fegte ihm die Beine weg. Ich weiß es noch wie heute. Dann
     trat er den zweiten. Der dritte packte ihn von hinten, Frederico erwischte ihn mit dem Handrücken – da habe ich eine Chance
     gesehen und habe mich aufgerappelt. Wir stellten uns schnell aufeinander ein. Das war bis zuletzt in allem so, nur nicht bei
     Frauen.«
    »Willst du damit etwas Bestimmtes sagen?«
    »Er ließ sich verführen . . .«
    Das ist es also, dachte Nicolas, irgendwo hat jeder seinen schwachen Punkt. Aber ist es verwerflich, sich verführen zu lassen?
    »Er war kein Freund von politischen Parolen«, fuhr Otelo fort. »Er war jemand von der Straße, sie war seine Frankfurter Schule,
     wie er sagte, ihm als Architekten ging es um Häuser, weniger um Ideen, er war kein Theoretiker.«
    »Das ist keiner in unserer Familie.«
    »
A praia está por baixo do asfalto
, sagte er immer. Was haben wir darüber gelacht, sogar im Weinberg, wenn wir neue Pfähle eingesetzt haben. ›Unter dem Pflaster
     liegt der Strand‹. Es gibt in der Bibliothek alte Zeitungen, die so heißen, ›Pflasterstrand‹. Er hat gern gearbeitet, weißt
     du? Mit den Männern draußen, in der Hitze, im Winter, bei |305| Regen, und nach einem Lesetag waren wir in der Nacht mit im
lagar
, in den Becken, um den Wein zu treten. Das hat mich bei seiner Herkunft sehr gewundert, und nur deshalb haben die Arbeiter
     ihn respektiert, schon im Alentejo in der Kooperative. Es waren harte Jahre. Nur Arbeit, Essen und kein Geld, dazu ein Scheißquartier,
     so wie die Arbeiter und Tagelöhner. Dabei besitzt deine Familie Millionen. Ich bin anders, ich stamme aus einer armen Familie.
     Ich habe immer gedacht, Menschen aus reichen Häusern seien schlecht. Frederico hat mir was anderes gezeigt.«
    »Ja, bei ihm hat die Erziehung genau das Gegenteil erreicht.«
    »Und du? Wieso bist du hier und nicht in Frankfurt?«
    Nicolas zuckte mit den Achseln.
    Otelo griff nach dem Kaffee, der kalt geworden war. »Alles lief gut, bis vor zwei Jahren. Da begann der Ärger. Er hat beschlossen,
     dass die Quinta nach seinem

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