Der Portwein-Erbe
könnten ihn ja entlassen, wenn er sich nicht bewähre, hat sie vorgeschlagen.
Frederico wollte dem Ärger mit ihr aus dem Weg gehen, er war viel schneller damit einverstanden als ich.«
Nicolas sah ihn an, und Otelo bemerkte, dass er gar nicht mehr zuhörte, sondern dass ihn etwas ganz anderes beschäftigte.
»Was ist dir in den Sinn gekommen?«
Nicolas stand jetzt zwischen fremden Gräbern an einem grauen Stein mit dem ovalen Foto des Verstorbenen. »Wenn du glaubst,
dass Veloso dahintersteckt, hinter den Vertreibungs- oder Mordversuchen – für das, was es war, fehlen mir die Worte – dann
hätte er Gonçalves kennen müssen. Du sagst aber, dass Dona Madalena sich für ihn eingesetzt hat. Das geht nicht, entweder
sie oder er, außer . . .«
». . . außer Veloso und Madalena hängen zusammen . . .«
». . . was ich mir durchaus vorstellen kann. Rita hat Dona Madalena in der Stadt, in Régua, gesehen, mit Veloso. Und ich sah
ihn, als er zu ihr fuhr. Außerdem hat er den Totenschein ausgestellt. Ich habe die Einzelteile nicht zusammengesetzt, dazu
war ich viel zu sehr mit mir und der Quinta beschäftigt. Da war Gonçalves in seiner ... ja, dümmlichaggressiven Art. Ich hatte
bis auf Carlos niemand, mit dem |354| ich reden konnte. Carlos – habe ich dir von Carlos erzählt?«
»Wer ist das?«
»Ich habe ihn in Gaia getroffen. Er studiert Önologie, ein guter Typ. Er hat mir geholfen, nach dir zu suchen. Die Kontakte
zu anderen Leuten waren minimal, ja, auch mit Pereira ging es gut, er hat mir viel erklärt. Aber mit euren Mitarbeitern war
es eine Katastrophe. Ich verstand nichts und war total frustriert, weil mich alle boykottiert haben, so stellte es sich zumindest
dar.«
Dann kam Nicolas übergangslos auf die Lese zu sprechen, als wollte er die Vergangenheit so rasch wie möglich hinter sich lassen,
und erklärte, wie er sich das weitere Vorgehen dachte, was er von Otelo an Hilfestellung erwartete.
Der
provador
lachte unvermittelt auf. »Nein, ich lache nicht über dich«, sagte er, als ihn Nicolas verständnislos ansah. »Es ist die Situation,
Nico. Es ist absurd. Wir stehen auf dem Friedhof, mit dem Grab deines Onkel im Rücken. Wir versuchen Licht in die Vergangenheit
zu bringen, und du machst Zukunftspläne. Wozu den Portwein altern lassen, wenn nicht für die Zukunft? Für andere Produzenten,
die in der Vergangenheit Portwein gemacht haben, ist unsere Gegenwart die Zukunft. Es gibt in der Nähe die Quinta do Paço,
bei Mesão Frio, dort lagern seit 1967 fünf riesige Fässer mit Tawny. In jedem ist ein anderer Jahrgang, einer feiner als der
andere. Die lagen bereits dort, als wir hier angefangen haben zu graben. Ich zeige dir die Fässer, je 22 000 Liter. Und die
Besitzer verkaufen den Portwein nicht. Dabei ist er ein Traum. Er wird nicht schlecht, er wird besser, anders, ein Produkt
für die Zukunft eben. Einer stirbt, einer wird geboren, so geht’s, Nico. Ich finde es gut, dass du hier bist, mir gefällt
es. Frederico hat eine gute Wahl getroffen.«
Nicolas wurde rot, er hatte beileibe nicht den Eindruck, sich bisher besonders geschickt angestellt zu haben. Das |355| Kompliment verunsicherte ihn, und rasch steuerte er auf ein anderes Thema zu.
»Weshalb meldet sich Rita nicht? Oder beruhigst du mich lediglich mit ihrer Reise nach Madeira?«
»Sie ist wirklich dort, aber nicht mit einer Reisegruppe. Damit haben wir sie bewegen können, sofort nach Madeira zu fliegen.
Als dein Freund zurückkam, aber du nicht, haben wir nach dir gesucht und den Wagen gefunden. Ich wusste, was das bedeutet.
Sie machen es immer so. Dann drohen sie, der Frau was anzutun, und die Männer gehen in die Knie. Bei Kindern geht das noch
schneller, das ist noch niederträchtiger. Man fühlt sich verantwortlich, obwohl man es nicht ist.« Otelo löste sich vom Zaun
und ging zum Ausgang. »Ich brauche einen Kaffee. Solange man am Leben ist, sollte man so wenig Zeit wie möglich auf Friedhöfen
verbringen.«
Als sie am Salon »Lord« vorbeikamen, grüßte der Friseur, und sie setzten sich nebenan ins Café – Otelo konnte sich für Schokoladentorte
genauso begeistern wie Nicolas. Einen empfehlenswerten Portwein hatten sie leider nicht – da kam Pereiras Anruf. Dem Eilantrag
auf Exhumierung habe man stattgegeben, er werde versuchen, es in aller Stille abzuwickeln, damit sich mögliche Schuldige nicht
heimlich absetzten.
»Meinst du, das gelingt?«
Otelo war
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