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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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weiterverarbeitet, den Rest als Vinho de Mesa. Das waren die drei verschiedenen
     Tischweine, der einfache, die sogenannte Semi-Crianza und die Reserva, die Nicolas alle in Berlin kennengelernt hatte. Er
     schaute auf die Liste und begann die
pipas
zu zählen, dann verglich er das Ergebnis mit der Zahl auf der Liste. Es stimmte. Er ging an den Fässern entlang und klopfte
     dagegen. Sie klangen dumpf, als wären sie gefüllt, jedes ein klein wenig anders, doch die beiden letzten der Reihe klangen
     völlig anders. Sie klangen hohl. Er drückte mit dem Rücken gegen die
pipa
, und zu seinem Erstaunen ließ sie sich bewegen, minimal zwar, aber immerhin. Ein volles Fass hätte dort gelegen wie ein Felsblock.
     Innen schwappte nichts, also waren sie leer. Nicolas schleppte eine Trittleiter herbei. Der Stopfen ließ sich leicht herausziehen,
     und Nicolas kroch auf das Fass, um am Spundloch zu riechen. Ein wunderbarer Duft kam ihm entgegen, wie Tabak, wie reife kandierte
     Früchte, getrockneter Pfirsich, demnach ein Tawny – aber das Fass war leer. Und das daneben auch. Laut Bestandsliste sollten
     sie jeweils 550 Liter Portwein enthalten.

|133| 7.
Abgetaucht
    »Sie sehen das falsch.«
    Nicolas sah Gonçalves an und fragte sich, woher der Verwalter wissen wollte, was er dachte. Dass er abstritt, dass der Inhalt
     zweier Fässer fehlte, hatte Nicolas erst auf die Vermutung gebracht. Diebstahl wäre ihm sonst nicht in den Sinn gekommen.
     Und seit er den Verwalter zur Rede gestellt hatte, verstand Gonçalves kaum noch ein Wort Englisch. Jetzt brandete ihm ein
     portugiesischer Wortschwall entgegen und machte jeden weiteren Versuch, die Angelegenheit zu klären, zunichte. Gonçalves wusste,
     dass Nicolas ihn nicht verstand, und spielte seine Macht aus.
    Andererseits – wer war er, dass er Forderungen stellte? Er tauchte auf der Quinta auf, gleich mit einem Rechtsanwalt und einer
     gerichtlichen Verfügung in der Hand, das hatte was von Okkupation, von Besatzung an sich. Er pochte auf seinen rechtlichen
     Status als Erbe und verursachte Durcheinander und Kopfzerbrechen, ohne den geringsten Schimmer vom Betrieb einer Quinta zu
     haben. So sahen es die Mitarbeiter.
    Was Nicolas verwunderte, war, wie ablehnend er diesem Mann gegenüberstand. Er war wegen des unfreundlichen Empfangs wütend,
     er nahm es ihm übel, dass er die Besichtigung der Quinta um einen Tag verschoben hatte und dass er mit einem Stein nach Perúss
     geworfen hatte. Dass er |134| mauerte, wo 1100 Liter vom besten Portwein fehlten, was der Summe von circa 22 000 Euro entsprach, war unverständlich. Seine
     Protesthaltung gegen die kleine Inventur, die Nicolas vornehmen wollte, stellte ihn persönlich ins Zwielicht. Der Mann tat
     alles, um es sich mit ihm zu verderben, und bereitete im Grunde genommen seinen Rauswurf vor. Wie konnte man so dumm sein?
     Hätte Pereira ihm nicht nahegelegt, es mit Gonçalves zu versuchen, er hätte ihm empfohlen, sich nach einem anderen Job umzusehen.
     Er wollte ihn hier weg haben, ihn störte die dickfellige Ignoranz des Verwalters.
    Nicolas nahm die Inventarliste an sich. »Wir zählen die Fässer.« Nicolas bedeutete Gonçalves, zu folgen. Der Verwalter dachte
     nicht daran. Er streckte wichtigtuerisch den Zeigefinger in die Luft wie jemand, der etwas erklärt, und bewegte ihn hin und
     her. Das bedeutete Nein! Stumm zeigte er auf seinen Schreibtisch, aufs Telefon, zuckte mit den Achseln und grinste Nicolas
     scheinheilig an. Er griff nach einem Zettel und telefonierte, Nicolas war Luft für ihn. Lourdes beobachtete die Szene – ohne
     eine Regung. Ihr war wohl nicht klar, wer der Stärkere war, aber es hatte den Anschein, als erwartete sie von Nicolas eine
     Entscheidung.
    »Jetzt gehe ich die Flaschen zählen«, sagte er und schloss die Tür hinter sich. Gonçalves ließ sich nicht beeindrucken. Nicolas
     ging hinauf, dabei hätte er sich lieber auf einen der großen Steine im Garten gesetzt und ins Tal geschaut. Aber die leeren
     Fässer ließen ihm keine Ruhe. Wenn der Wein verschoben worden war, konnte das mit den Flaschen auch passieren. Seit er die
     Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatte, war er verantwortlich. Wenn sich nicht aufklären ließ, wo der Wein geblieben
     war, musste er die Polizei einschalten. Der Sachverhalt ließ sich nachprüfen: Die Fässer waren nummeriert, die Nummern in
     den Bestandslisten eingetragen, dahinter war der Inhalt angegeben.  |135| In beiden Fässern waren je 550 Liter

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