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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Dona Firmina vors Haus und zeigte fragend auf den Olivenbaum am Rande des Weinbergs. Sie nickte zustimmend und sagte
     etwas, wobei er nur den Namen Seu Frederico verstand. Damit war Nicolas klar, dass seine Salate auch mit eigenen Olivenöl
     angemacht wurden. Das war ein Grund zum Bleiben.
    Mit einem »
Obrigado, Dona Firmina, até logo
« ging er ins Büro zurück, wobei er die Augen der Haushälterin in seinem Rücken fühlte. Er würde sonst was dafür geben zu
     wissen, was sie dachte – und wusste. Sie wusste viel, ihre Augen sprachen, sie verschwieg viel, auch das sah er, und sie tat
     es nicht gern.
    Ein Areal oberhalb der Quinta war mit Lugar da Granja bezeichnet. Dem Grundriss nach konnte es sich nur um Friedrichs Wohnhaus
     handeln. Er nahm ein Handtuch und den Zeichenblock, rief den Hund, der ihm zum ersten Mal folgte, ohne vom Hunger getrieben
     zu sein, und wandte sich dem Garten zu, als Dona Firmina ihn zurückrief. Sie hielt ihm einen Strohhut hin und wies auf die
     senkrecht stehende Sonne.
    Die Frau arbeitete seit Jahrzehnten hier, sie musste Friedrich in- und auswendig gekannt haben, besonders aus der Zeit vor
     seiner Verbindung mit dieser Madalena und dem Umzug nach oben. Nicolas schlenderte über den Hof, prüfte alle Türen, ob sie
     abgeschlossen waren, und ging dem Hund nach, der einen kaum sichtbaren Pfad zwischen den Rebzeilen hinauflief. Friedrichs
     neues Haus lag so still und verlassen da, als würde es um seinen vormaligen Besitzer trauern.
    Nicolas erinnerte sich dabei an eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, ›Der Untergang des Hauses Usher‹. Aber |165| da war es um Personen gegangen und nicht um ein Gebäude. Ob Friedrich das Buch in der Bibliothek hatte? Die Mehrzahl der Bücher
     und auch die Schallplattensammlung hatte Nicolas noch gar nicht durchforstet.
    Es war seltsam, dass Madalena Barbalho nichts von sich hören ließ. Sie musste wissen, dass er längst eingetroffen war. Jemand
     auf der Quinta würde sicherlich ihre Telefonnummer haben, aber er wollte sich ihr nicht aufdrängen. Außerdem fehlte ihm die
     Erfahrung, wie Menschen mit dem Tod umgingen. Den Verlust seiner Großeltern mütterlicherseits hatte er als Kind kaum wahrgenommen,
     die Eltern seines Vaters lebten beide, aber man hatte sich wenig zu sagen.
    Oben angelangt, gab er sich dem grenzenlosen Blick über die Berge hin. Die Täler waren tief eingeschnitten, die Hänge steil,
     eine Steigung von 30 Prozent, deshalb sah man deutlich, wie sie bearbeitet waren. Die Berge schienen in etwa gleich hoch,
     nicht einer überragte die anderen deutlich; die Kuppen waren abgeflacht, nichts Schroffes und Feindliches, jeder Quadratmeter
     war bearbeitet, überall wuchsen Wein oder Öl. Knallig machte auch hier der Ginster auf sich aufmerksam, der auf dem gegenüberliegenden
     Hang einige Parzellen überwucherte. Erst bei längerem Hinsehen bemerkte Nicolas, dass diese Parzellen nicht gepflegt und die
     Terrassen abgerutscht waren, dabei hatten sie die Stützmauern mitgerissen. Oder waren die eingebrochen und hatten die Terrassen
     abrutschen lassen? Wer ließ seine Weinberge derartig verkommen?
    Eigentlich hatte er in Dona Madalenas Pool baden wollen, aber nachdem ihn der Wind abgekühlt hatte, interessierten ihn die
     Pläne, die er auf dem Computer gesehen hatte, mehr. Um sich herum fand er alles in natura, die unterschiedlichsten Weinberge
     lagen in Sichtweite, er saß mittendrin, und er versuchte, sie mit der linken Hand zu zeichnen. Je ruhiger er es anging, je
     tiefer er atmete und je |166| mehr er sich entspannte, desto mehr folgte die Hand seinem Willen. Wenn er sonst zeichnete, gab es nur seine Wahrnehmung,
     der Wille war ausgeblendet, die Hand diente als Werkzeug. Jetzt war sie ein Handicap, das Zeichnen eine Quälerei. Aber es
     zwang ihn zum Hinsehen.
    Nach zwei Stunden verließ er seinen Ausguck und kehrte zur Quinta zurück. Heute war die Stille noch deutlicher zu vernehmen.
     Die Hausbesorger fuhren im Sonntagsstaat weg, und Nicolas beschäftigte sich nach Sprachstudien mit Rechnungen, Expertisen,
     internationaler Korrespondenz, Weinbeschreibungen und chemischen Analysen. In den Weinbeschreibungen waren Säurewerte erwähnt,
     was ihn darauf brachte, sich das Labor neben dem Raum des Kellermeisters anzusehen. Es war ein kleiner gekachelter Raum, ein
     Labor eben, wobei ihm die Funktionen von Geräten, Pipetten, Glaskolben und Thermometern verborgen blieben.
    Perúss und er kehrten ins Büro zurück.

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