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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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derartiges Kommando, so es nur aus seinem Mund kam, reagierte er ohne jegliches Zögern. Er machte also die Räuberleiter. »Pass auf, du machst meine Jacke kaputt«, schimpfte Dima, die schwarze Lederjacke, sein Kleinod. Genau betrachtet war es nicht einmal eine Räuberleiter, er hob Dima geradezu über das Gitter, das für ihn in Kinnhöhe endete, und bemerkte, dass Dima, als er auf der anderen Seite stand, ihn etwas verwundert ansah, zumindest meinte er in der Dunkelheit auf seinem Gesicht Verwunderung zu sehen. »Gib den Kanister her«, murrte Dima mit fast geschlossenen Lippen, er zündete sich gerade wieder eine Zigarette an. Jegor reichte ihm also den Benzinkanister über das Gitter, der für diesen anscheinend auch leichter ausgesehen hatte, als Jegor ihn gehoben hatte, plumpste er doch, seine Hand noch am Griff, auf Dimas Seite des Gitters zu Boden. Jegor lachte. Dima zornig: »Lach nicht. Ist weggerutscht. Und jetzt komm her.« Wieder der Kommandoton. Dass Dima Jegor, als sie beide noch klein gewesen waren, so herumgescheucht hatte, hatte sich wohl schon bezahlt gemacht, es vereinfachte Dimas Leben und unterhielt ihn häufig. Hol mir zu trinken, setz dich auf den Ameisenhaufen, sag den Eltern, du hättest die Vase zerschlagen. Jegor wusste das, Jegor wusste, dass er Dima hörig war, und Jegor nahm sich immer wieder vor, nicht auf Dima zu hören, aber konditionierter Hund, wie er einer war, reagierte er doch stets, wenn Dima diesen Ton anschlug. Einmal hatte er sich gewehrt, hatte gesagt: »Nein.« Und Dima hatte sich darauf verlegt, ganz gedehnt »Biiiiiiiitteeeeeeeee!« zu sagen. Jegor tat, was er sagte. So also sprang Jegor über das Gitter, er musste nur hochspringen, sich oben am Gitter abstützen und darüber hüpfen. »Häschen klein«, kicherte Dima, ein wieherndes Kichern, ein lautes Kichern. Wie das eines Mädchens. Jegor war besorgt: »Kannst du nicht ein bisschen leiser sein?« »Wer soll uns denn hören?«, gab Dima schroff zurück, »ist ja niemand hier.« Und Jegor antwortete, während er versuchte zu lauschen, »Excusez-moi«, lauschte, ob er etwas anderes vernahm als den Lärm der Autobahn. »Hast du mich gerade debil genannt?«, fuhr ihn Dima an und Jegor schüttelte so heftig den Kopf über den Bruder, dass dieser es sogar im Dunkeln sehen konnte und beruhigt war.
    Das Gitter, das sie gerade überwunden hatten, war mit einem großen weiß-roten Schild geziert, das mitteilte, dass hier die Einfahrt verboten war. »Wir fahren ja nicht ein, wir gehen ja zu Fuß«, hatte Dima kommentiert. Es war das Tor, das eine Auffahrt zur Autobahn absperrte, die nur Straßenmeisterei und Milicija benutzen konnten, diese hatten den entsprechenden Schlüssel zu diesem Tor. »Du trägst den Kanister«, befahl Dima schroff, zog an der Zigarette und stapfte los. Jegor griff den Kanister und eilte ihm nach, die Rampe zur Autobahn hinauf. Durch den Abgasnebel über der Autobahn waren keine Sterne zu sehen, das einzige Licht, der Discolaser vom Stadtrand, machte rhythmische Schwünge, in diesem Rhythmus marschierte Dima. Hin und wieder drang ein Nts-nts-nts von der Disco her. »Woher hast du eigentlich das Benzin?«, Jegor riss die Augen weit auf, wie immer, wenn er nicht gleich verstand, wie einfach manche Dinge für Dima zusammenhingen. »Vom Privoz«, sagte Dima. Es war schon lange nach Mitternacht, Odessa leuchtete im Dunkeln. Am Privoz kann man tatsächlich alles kaufen, alles versuchen. Ein bisschen Tod versuchen? Bitte, gern.
    Jegor war nun froh, den Kanister in der Hand zu haben, denn Vorbeifahrende würden glauben, dass sie einfach mit Benzin zu einem Auto gingen. Gemeinsame Unternehmungen mit Dima wurden ungemütlicher, dachte Jegor. Zuletzt waren sie in eine Wohnung eingebrochen. Sie hätten ihn zu Tode messern sollen, vielleicht wäre das leichter gewesen, leichter anzusehen, denn nachdem sie die Tür aufgebrochen hatten, wofür Dima Jegors Kraft benötigt hatte, denn alleine hätte er es mit dem Stemmeisen nicht geschafft, hatte Jegor nichts weiter getan. Statt ihn zu Tode zu messern, hatte Dima ihn zu Tode gebadet, den armen Idioten, der wichsend in der Badewanne lag. Ein Auftrag, hatte Dima gesagt und Jegor ein Messer und das Stemmeisen in die Hand gedrückt, als sie loszogen. Kaum ein Butterbrot hatten sie damit verdient. Und nicht einmal gewusst, wofür. Dima hatte gemeint: »Hat sich halt mit den Falschen angelegt«, als Jegor ihn fragte, was das Bürschchen in der Badewanne denn getan habe. Dima

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