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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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und das morsche, feuchte Holz rieb sich ab und bröckelte ins Wasser, fasrig und schwer. Schwül war es und es fiel ihr schwer zu atmen, so benötigte sie Stunden, sich dem Haus zu nähern, dessen Lichtschein sie lockte. Wenn sie hochblickte, glaubte sie in dem ersten Raum eine Silhouette zu erkennen, eine schmale Taille und ausladende Hüften, Brüste, von denen Wasser triefte, türkis und grün, doch als sie den türenlosen Raum erreichte, fand sie dort nur ein feuchtes mit zerfledderten Stoffen bezogenes Bett vor, daneben lehnte ein Gewehr. Es war ihre Mutter in hohem Alter, die den Raum von der anderen Seite betrat, die Flinte auf sie richtete und sich, eine nasse Zigarette rauchend, auf dem nassen Bett niederließ. Sie trug eine geblümte Bluse und eine mehlverklebte braune Kleiderschürze. Anstatt sich aufzurichten, kroch Irina weiter. Ein Saal mit schwarzen Fließen und Holzvertäfelungen an den Wänden, denen die Feuchtigkeit noch nichts anhatte, mit großen Spiegeln an den Wänden. Ein Lemberger Kaffeehaus, dachte sie und wusste nicht recht, wie sie darauf kam, denn sie war nur einmal in Lemberg gewesen, als sie noch ganz klein gewesen war, und hatte keinerlei bewusste Erinnerung daran. Inmitten der Leere des Zimmers war in einem einzigen Winkel etwas zu sehen. Eine brüchige Schlangenhaut, dorthin bewegte sie sich nun gehend, kniete sich davor und berührte sie. Sie war abgelöst von der Gestalt, die ihr die Musik in den Teich geworfen hatte, mit ihren dünnen Fingern. Ihre Hände legte sie nun innen in den Hals der Haut, innen in die Brüste, der Bauchnabel bildete ein Loch. »Lass uns Erdbeersaft trinken«, sagte die Mutter hinter ihr, »nimm die Finger aus ihr.« Und sie wusste, ohne sich umzuwenden, obwohl sie ruhig und freundlich klang, dass sie die Waffe immer noch auf sie gerichtet hatte. So saßen sie am Boden, wie sie als Kind immer am Boden gesessen hatte, mit ihrem Kinderschnabelbecher, und tranken Erdbeersaft, die Haut der Wasserfrau in der Faust zusammengerafft. »Lass sie los«, sagte die Mutter, lächelte, als hätte sie ihr angeschafft, die Porzellantasse mit den Röschen nicht anzufassen. Und plötzlich war sie ohne die Mutter auf See verloren gegangen und rief: »Aber ich kann doch nicht segeln!«, während sie sich wunderte, warum die Russalka sie nicht getötet hatte, und erwachte.
    Die Nacht, in der alle Kakerlaken bekanntlich unsichtbar waren, hatte ein Ende. Irina hatte bereits vergessen, welchen Wochentag man schrieb, beobachtete die vorbeiziehenden Häuser, deren Treppenhausskelette man durch die zerbrochenen Fenster sehen konnte, wo der Tod wohnte. Zum Glück brennt nur in Odessa Licht hinter Fassaden, die keine Gebäude bergen, und diese Stadt hatte sie hinter sich gelassen, auch wenn sie nicht wusste, was ihr Herz im tiefsten Inneren, in ihres Herzens Herzen, gerade auf diese Strecke trieb. Es würde noch weitere zwölf Stunden bis zur Ankunft dauern. Der alte Mann neben ihr war nicht aufgewacht. Sie befühlte seine Wange, sie war kalt. Noch für zwölf Stunden eine Leiche an ihrer Schulter.

VI
    Гоpевать – не гоpеть, гоpевать – не взpывать,
Убивать, хоpонить, гоpевать, забывать.
    Янка Дягилева
    Vorsichtig, als würde er es lieber heben als fahren, beförderte Dima das Auto auf den Gehsteig, dass die Reifen geradewegs auf den Kanten standen, das Auto die Breite des Gehsteigs ausfüllte. »Wie sollen da denn die Leute gehen?«, fragte Jegor. Und Dima antwortete nur: »Zu Fuß.« Sie kamen selten her, als sie hergezogen waren, vor einem Jahr, hatte es zu ihren Ritualen gehört, einmal wöchentlich gingen sie zu zweit zum Starokonij Rynok, dem großen Flohmarkt. Alle Gassen und Straßen um den eigentlichen Markt, der für Handwerker und Baumeister gedacht war, waren am Wochenende gefüllt mit Menschen, die professionell, spezialisiert auf bestimmte Gegenstände, Möbel oder Armeebedarf, Zeitschriften, Pelze oder Schallplatten, den Weiterverkauf von dem pflegten, was sie so aufzutreiben geschafft hatten, und dazwischen die Menschen, die in der Krise, der großen Krise – sie waren hergekommen, weil es in Odessa noch leichter sein sollte Arbeit zu finden als sonstwo –, verkauften, was sie auf ihren Dachböden oder in ihren Kellern fanden. »Neue Uhr?«, fragte Dima, mit Blick auf Jegors Handgelenk. »Hm«, brummte dieser, »ich hab da diese Bekannte bei der Post. Und da kam eben ein dickerer Umschlag und sie

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