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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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während es in ihrem Magen fauchte und kratzte.

IX
    Легко ль голодать голодным?
Легко ли молчать немым?
Легко ли таиться мёpтвым?
Легко ли искать живым?
    Гражданская оборона
    Vadim rief laut: »Fotografija, Fotografija!«, als die Touristen vorbeigingen, aber sie ignorierten ihn oder schüttelten verständnislos die Köpfe. Šarik saß auf seiner Schulter, die Mittagshitze brannte auf Vadims Schultern, Šarik musste es noch schlimmer ergangen sein, das Kapuzineräffchen trug ein Leopardenjäckchen aus Plüsch, das vorne an den Fingern zusammengenäht war, ausziehen konnte er sich so nicht, die Krallen benutzen ebenso wenig, er kratzte sich also mit dem Füßchen am Kopf. Erst am Abend verschlechterte sich das Wetter und erlöste beide von der Hitze, der Wind vom Meer, der weiße Pollen die Potemkinsche Treppe hochjagte, bot schnell eine Abkühlung, im Dunkeln gingen sie nach Hause. Erst in dem schmalen Zimmer, das fast die ganze Wohnung ausmachte, erlöste Vadim den erschöpften Affen von seiner Aufmachung. Die Wohnung war zu teuer. Kommunalwohnungen waren billiger, aber er hatte keine Mitbewohner gefunden. Seine frühere Kommunalwohnung hatte er verlassen müssen, weil eine Mitbewohnerin sich beim Vermieter beklagt hatte, dass Šarik Lärm und Dreck mache, obwohl das Äffchen in der Wohnung weniger Unheil angerichtet hatte als sie selbst. In dieser Wohnung würde sich wohl kaum jemand beklagen, auch niemand von den Nachbarn, nicht einmal die Tante, offenbar eine Kvas-Verkäuferin, die gegenüber wohnte, hatte bislang Notiz von Šarik genommen. Heute kein Brot gekauft. Kaum jemand hatte sich für die Fotos mit dem Affen interessiert. Nur mehr ein halber Apfel und ein paar Tropfen Vodka neben dem Bett. Frei von Leopardenmuster und Leine hatte Šarik den Apfel sogleich als den seinen sichergestellt, hockte neben dem Bett und verschlang ihn mit erwarteter Hast. »Schon gut. Davaj.« Vadim setzte sich aufs Bett, griff nach der Flasche und schraubte sie auf, sogleich saß Šarik, den Apfel hatte er bis auf den Putz vernichtet, auf seinem Schoß, wartete auf seinen Teil. »Ja, wir teilen ja«, nahm Vadim einen Schluck und hielt den Rest dem Affen hin, der, bemerkend, dass er nur einen winzigen Schluck übrig hatte, laut zeternd für eine Minute durchs Zimmer sprang, bevor er sich auf den Tisch setzte und vor sich hinstarrte. Vadim faltete das Kostüm, sah Šarik seufzend an. »Du weißt, dass es mir leid tut. Es tut mir leid. Wenn es morgen besser wird, kaufe ich Brot und Obst.« Der Affe reagierte nicht. Erst als Vadim ihn mit dem Finger in den Nabel piekste, »wirst noch ein dickes Äffchen«, entkam ihm ein kurzes Kichern, und als würde er Krümel vom weißen Bauchfell wischen wollen, schob er mit schnellen Bewegungen Vadims Hand weg, dann sank er seufzend zusammen. Vadim hob ihn auf den Arm, wie man einen Säugling hochhebt, und legte ihn in den Korb, in dem er Šarik gekauft hatte und der in geöffneter Form seither sein Bett gewesen war. Zwar bedauerte Vadim, dass der Himmel wie üblich sein Regenversprechen nicht gehalten hatte, keine wohltuenden Gewitter schickte, aber dann wäre der Korb nass gewesen vom Regen, zumindest auf einer Seite, und Šarik schlief nicht gerne im nassen Korb, denn auch wenn Vadim ihn auf die trockene Seite bettete, wusste er wohl, dass es nicht viel nützen würde, da der Affe sich im Schlaf häufig drehte und am nächsten Morgen Vadim mit einem anklagenden Blick strafen würde, während er sich das Fell rubbelte. Aber Šarik wollte ja nicht in Vadims Bett schlafen und Vadim wusste genau warum: Er drehte sich im Schlaf nicht weniger als Šarik. Auch wenn Šarik sich weigerte, in dem Korb zur Arbeit transportiert zu werden, nahm Vadim den Korb jeden Tag mit zur Treppe. Er betrachtete die Fotos, die mit Klebeband an die Tapete geklebt worden waren, er hatte sie nicht entfernt, sie waren vom Vormieter, der gestorben sein sollte. Ziemlich jung, wie man Vadim gesagt hatte. Die Bilder zeigten immer wieder denselben Menschen umgeben von Freunden, Gruppenfotos vermutlich aus Schul- und Studienzeit, vom Feiern und von Abenteuern, die nur diesen Menschen als Abenteuer erschienen, weshalb dann doch nur das Häufchen Menschen auf den Bildern zu finden war. Vadim schaltete den Fernseher ein und sah zum hundertsten Mal den Matrosen, gestorben für eine Schüssel Boršč, die Touristen auf der Treppe sind

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