Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
auch nicht weniger beängstigend als die Soldaten im Film. Erst am folgenden Tag fiel ihm auf, dass er wieder rauchend eingeschlafen war, ein schwarz umrandetes Loch im T-Shirt. Der Affe quiekte, sich unzufrieden am Fell zupfend, von dem Geräusch war Vadim aufgewacht. »Komm, gehen wir«, zog er dem Äffchen das Kostüm wieder über, hob ihn auf die Schulter, griff den Korb und so zogen sie los. Der Markt lag auf dem Weg, aber so sehr Vadim auch in seinen Hosentaschen suchte, fand er keine übrigen Kopeken, um einen Apfel zu kaufen, die Frau, die sie verkaufte, gab ihm trotzdem einen. Nein, genau genommen gab sie den Apfel nicht Vadim, sondern Šarik, den sie wohl auch nicht um seine Arbeit beneidete. Trotz Šariks Protest verstaute Vadim den Apfel im Korb, »Später wirst du ihn noch verzweifelter haben wollen.« Der Neue, der auf der Potemkinschen Treppe den Touristen Fotos mit einem Alligator, dessen Maul mit einem Kabelbinder zugehalten war, anbot, war bereits da. Vadim setzte sich auf einen der seitlichen Vorsprünge, wo morgens noch die Bäume Schatten gespendet hatten, und rief »Fotografija!«. Der Lärm der Autos kroch mit den Menschen die Stufen hinauf, die Blätter raschelten im Wind vom Meer. Aber nur Menschen sind unangenehm laut. Jedes Geräusch war Vadim lieber als das Geschnatter und Gemurmel. Aber auch verstummen durfte es nicht. Denn verstummten die Stimmen, war die Milicija nicht weit und niemand bot mehr schreiend Fotografien an. »Psst, Šarik«, hielt Vadim das Äffchen am gerüschten Kragen und steckte ihn in den Korb. Nur einen Moment lang schnatterte Šarik, als wüsste er, dass Vadim würde zahlen müssen. Zahlen, um auf der Treppe zu sitzen, wenn man den Affen sähe, denn dort zu verdienen bedeutete, auch bei der Milicija das Recht dazu geltend machen zu müssen und ihnen einen Anteil zu überlassen. Manchmal war Vadim unsicher, ob Šarik dieser Überlegung folgen könnte, traute er dem Affen doch mehr als das Äffische zu. Dann war er ruhig, alles war ruhig, nur Rauschen von der Straße und vom Meer. Die frühmorgendlichen Schatten machten die Uniformierten größer, als sie waren, und wie zwei Türme standen sie vor Vadim. Was in dem Korb sei, wollten sie wissen, und Vadim antwortete: »Mein Mittagessen.« Und der Zweifel ihrer Gesichter verschwand, als er zwischen die beiden Korbhälften fasste und den Apfel hervorholte, den Šarik ihm schon mit den Händchen im Kostüm bereitwillig hinhielt, Vadim nicht verwehrte, ihnen beiden mit dem Apfel Ärger zu ersparen, denn zahlen würde Vadim an diesem Tag nicht können, und auf der Polizeistation für die Milicionäre zu tanzen, wäre dem Anschein nach auch nicht in Šariks Sinn gewesen, diese Erfahrung hatten sie bereits gemacht. So saß der Affe abwartend in dem Korb und wunderte sich vielleicht ein wenig, als es immer stiller wurde und nicht nur die Stimmen der Milicionäre, sondern auch Vadims Stimme leiser wurde. So hockte er, seufzend und mit knurrendem Magen, denn den Apfel hatte er für seine Tarnung als Mittagessen preisgegeben.
Vadim kam erst Stunden später zurück zur Treppe, er hatte es nicht gewagt, der Milicija eine Abfuhr zu erteilen, als diese ihn doch bat, mit ihnen zu patrouillieren. Drollig hatten sie ihn gefunden, meinten, sie hätten Vodka, und er solle doch seinen Korb mit dem Essen mitnehmen, sie würden sich alle einen schönen Tag machen, und laut hatten sie gelacht, als er meinte, dass könne er nicht, denn das Mittagessen wollte er mit seinem Mädchen zusammen genießen. Ein genialer Einfall, glaubte Vadim, da die beiden den Korb Korb sein ließen. Doch Vadim war selten so geschickt, sich aus etwas herauszuwinden, so wie mit der Sache mit dem Mittagessen und dem Mädchen. Und so schaffte er es den ganzen Vormittag nicht, die beiden Männer abzuschütteln, erst zu Mittag musste wieder das Mädchen herhalten, das wohl schon wartete. Doch als Vadim zurückkehrte, war weder von dem Korb noch von Šarik etwas zu sehen. Und Vadim brauchte lange, ausgesprochen lange, um zu durchschauen, dass Šarik nicht einfach davongelaufen war. Denn wieso sollte der kleine Šarik den für ihn zu großen Korb mitnehmen? Nein, so dachte Vadim nicht. Vadim dachte nicht klar und begann mit seiner Suche, wie man einen Freund sucht, dessen Lieblingsplätze man kennt. Wie man einen Freund sucht, den man beleidigt hat und der davongelaufen ist. Er begann seine Suche. Er begann die Suche bei der alten Frau mit der blauen Kleiderschürze, die
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