Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
habe er sogleich die Blumen fallen lassen, sich fallen lassen, auf sein Hinterteil, ohne darauf zu achten, ob sich heiße Platten oder kühler Sand unter ihm befanden. Am Beginn lachten die Leute noch, sagte sie, wie er hinplumpste. Die Stille, die darauf eintrat, konnte auch Ljenka hören, draußen, auf der Schaukel, Irina war taub für die Welt, als hätte Taras, der sie abgeworfen und wieder aufgenommen hatte, an ihren Brustwarzen ihre Ohren ausgeschaltet. Es war eben dieser Moment, derselbe Augenblick, in dem ihre Schwester hintenüber von der Schaukel kippte, jener Moment, jene Gleichzeitigkeit, als man den gefallenen Bären an der Kette aus der Manege zerrte und Irina mehr stürzte als sank, was romantischer gewesen wäre, da Taras erstmals seine Finger auf ihre Klitoris legte. Weiter ging er nicht, denn er meinte, alle Bären hätten Zähne, er lasse sich nicht beißen, aber mein Bär doch nicht, dachte Irina damals laut, da war noch nicht einmal Fell. Woher dann also mehr als vierzig Zähne? Oder Tripper oder Aids? Und sie dachte daran, wie sie das Fell abrasieren würde, die Schamhaare abrasieren würde, sobald es nötig sei, damit Taras bliebe. Was gleichgültig wurde, da sie Taras seither nicht mehr begegnet war, und alles neben ihr alterte, nur sie dachte selten daran, dass auch sie altern musste, weil sie kaum mehr in den Spiegel blickte. Doch im Zirkus hatte Hitze auf ihren Körper gedrückt, Taras auf ihren Körper. Anatol müsste nun wohl ebenso alt gewesen sein wie Taras damals. Sie beide würden für Irina genau dieses Alter behalten.
Die Hitze hatte auch auf den Körper ihrer Schwester gedrückt, ihre Füße hatten die Erde unter der Schaukel gestreift, die Füße in den Sandalen waren schon ganz braun gewesen von dem Staub; unter dem Schaukelsitz wuchs kein Gras. Sie hatte geglaubt, dass sie eingeschlafen sein musste, das hatte sie gedacht, als sie Wolkentürme am Himmel wahrnahm, den sie für wolkenfrei gehalten hatte. Erst dann sah sie den weiß bemalten Mann mit dem Matrosenhut und Latzhose und dem Hemd der Seemänner, das sie bei Kälte wärmte und bei Hitze kühlte.
»Du, hilf mir doch, du, da raus.« Doch der weißgesichtige Morjak schien sie nicht zu hören, ein schwerhöriger Seemann war das, antwortete auch nicht, sondern begann zu tanzen, aber das Gras rutschte unter seinen Füßen weg und seine Arme mussten weich sein wie das Gras, dass sie der Bewegung so bereitwillig nachgaben. Trotz des Sommers trug er weiße Handschuhe. Erst da sah sie, dass neben ihm im Gras eine Sense lag. Vielleicht brauchte er deshalb die Handschuhe, damit er keine Blasen bekam, wenn er sie in kleine Stücke sensen würde. Da dachte sie wieder an die Mäuse in der Falle. Er sah sie an – sein Arm hing wie abgebrochen, baumelnd vom Ellbogen abwärts – mit einem gebrochenen Arm, konnte er ihr doch nichts tun, oder? Und sah, dass ihre Augen vor Nässe in der Sonne glitzerten, dass sie wütend war, weil er sie nicht aus ihrer verzweifelten Lage holte, sondern sich so bedrohlich vor ihr aufgebaut hatte. Da setzte er sich und setzte sich doch nicht, denn für ihn war keine Schaukel da, auf die er sich hätte setzen können. Er schaukelte also in der Luft, steckte den Kopf durch die Luftseile, die er mit den weißen Händen umschloss, und verharrte so einige Augenblicke. So waren sie völlig gleich, der Pantomime und die kleine Schwester, an deren Qual Irina schuld war, in ihrer Haltung.
Das fette »Mädchen« im lila Anzug habe kein Mitleid gezeigt, sagte die Mutter, sie dürfe auch kein Mitleid zeigen, lächeln, immer lächeln, wie der Dompteur, der den Bären aus dem Zirkus führte – selbst ein Bär von einem Mann. Das Tier sabberte ein wenig, man hatte ihm die Zähne selbstverständlich nicht gelassen, dafür musste er nicht lächeln, könnte er jammern, sprechen wie ein Mensch, verstünde man ihn nicht in seiner Zahnlosigkeit. Doch hätte er wohl den Grund zu jammern aufgegeben, tanzte nach niemandes Pfeife mehr. Vorübergehend mussten die trillernden Clowns die Nummer ersetzen. Auch Irinas Körper jammerte, ebenso zahnlos.
Der Pantomine hatte indessen wohl begonnen, langsam sein Hinterteil hochzuheben, weg von der erdachten Schaukel, zog die erdachten Seile auseinander, hob den Kopf aus der Schlinge, erhob sich und ging weg, aus dem Blickfeld Ljenkas, Gras mit der Sense mähend, dem Geräusch zufolge. Ihre Knochen hätten sich anders angehört, so scharf sei keine Sense, da hoffte sie, dass er sie
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