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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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Kleidung noch zurechtgezupft, als hätte er seinen ersten Schultag zu überstehen und beinahe hätte er ihm auch gesagt, dass er sich vor den anderen Kindern nicht zu fürchten brauchte. Er hatte ihn aufs Jenseits vorbereitet. Darauf, fortzugehen. Er betrachtete den Eintrag im Kalender. Der Eintrag war zu gewöhnlich. Wie er vorgegangen war, war wie immer. Gut, dass er ihn auf der Straße erkannt hatte. Auch die zu weite eigenartige Kleidung, die dieser getragen hatte, wie ein Chaplin, konnte ihn nicht tarnen. Nichts kann dich verbergen, Tolik, denn niemand auf der Welt, nicht einmal du selbst, kennt deinen Körper und dein Gesicht so gut wie ich, dachte Kirill. Er roch nochmals an dem leeren Glas, aber der Geruch war verflogen. Er griff nach der Fernbedienung, schaltete den Fernsehapparat in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes ein, sein Televisionsgerät hatte er immer auf Standby, er drückte die Taste, um die Lautstärke zu verringern. Noch einmal, noch einmal, noch weitere drei Male, leiser wäre bereits stumm. Doch er wollte nicht, dass ihm etwas in der Wohnung entgehe. Kein Geräusch, entschied also, ohne Ton zu schauen, doch das bläuliche Flackern, immer wieder blickte er ins Vorzimmer, ließ ihn Bewegungen wahrnehmen, wo keine waren, er verzichtete also auch auf das Bild, nun war es wieder still. Schritte waren zu hören, er schlich ins Vorzimmer, aber sie kamen aus der Wohnung über ihm, und gerade nun folgte ein schrilles lautes Bohren. Seit Wochen erledigte der Nachbar in der darunterliegenden Wohnung Reparaturarbeiten in seiner Freizeit. Fast hätte Kirill auf den Nachbarn geschimpft, hätte er dann dem, was Stille hätte sein sollen, nicht noch ein weiteres Geräusch hinzugefügt. Er löschte das Küchenlicht, trat ins dunkle Schlafzimmer, er trat weniger, vielmehr schlich er. Langsam und vorsichtig, ohne plötzlich das Gewicht auf einen Fuß zu legen, schlich er durch die Tür und zum Schrank. Öffnete ihn und sah sich um, als der Nachhall des knarrenden Geräusches, das seine Türen verursacht hatten, verschwunden war. Auf der rechten Seite waren Fächer für Kleidung, auf der linken Seite nur eine Stange, um Kleiderbügel aufzuhängen, er besaß keine Kleiderbügel, daher war die linke Seite leer, worüber er froh war, musste er doch nichts ausräumen, dort kroch er hinein, saß mit angezogenen Knien. Er hatte dort angenehm Platz, sagte er sich zumindest gedanklich, auch wenn er mittlerweile, seit seiner Kindheit, als er zuletzt aus Angst, weniger vor Geistern als vor seinen Mitmenschen, Zuflucht im Schrank gesucht hatte, etwas Bauchfett angesetzt hatte. Es war auch derselbe Schrank wie in seiner Kindheit, der noch den Geruch nach Waschmittel und Lavendelsäckchen, den Geruch seiner Mutter, in sich trug, sodass Kirill auch im Dunkeln, selbst wenn er müde war und desorientiert, noch wissen konnte, wo er sich befand: außerhalb der Welt. Er saugte noch einige Reste seines Mittagessens aus den Zahnritzen und schlief dann ein, obwohl es noch recht früh sein musste. So lange, bis es an der Tür klopfte und er selbstverständlich erschrak, zusammenzuckte und den Kopf leicht gegen die Schrankwand stieß. Er lauschte, wartete ab. Das Klopfen kehrte nicht wieder. Vielleicht waren es nur die Überbringer der Rechnung für die Kommunalkosten gewesen. Er seufzte vorsichtig und dachte an die Geschichte eines alten Mannes, der nach seinem Ableben monatelang ni cht gefunden worden war, da niemand ihn vermisste und dieser Mann schon seit Jahren nicht mehr aus dem Haus gegangen war. Was hatte er Mühe gehabt, ihn für die Trauerfeier, die die entfernt wohnenden Verwandten doch noch gewünscht hatten, vorzubereiten. Er würde nicht im Schrank bleiben können, krabbelte jedoch erst heraus, als er entschied, dass es ein dringenderes Bedürfnis gab als sich zu fürchten, und es wohl nicht ratsam war, in dieser Enge zu furzen. So stand er vor dem dunklen hölzernen Schlund und beschloss, dass es vielleicht besser wäre, die Stadt zu verlassen. Er schaltete nun wieder Licht ein, blickte nochmals in den Schrank, überlegend, was er denn tun könnte, damit Ivanov ihm nicht folgen konnte. Wäre er eine Frau, würde er ihn vermutlich nicht erkennen. Er zog einen wattierten Büstenhalter seiner Verflossenen aus dem Fach, das stets ihres gewesen war und das weder er noch sie je ausgeräumt hatte. Sie hatte die Watte ebenso nötig gehabt wie er, um das Dekolleté zu verfeinern, denn sie hatte kaum gegessen. Manchmal hatte

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