Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
vernäht, das Gesicht eingeschäumt und den Leichnam rasiert. Die Leichenflecken ausmassiert. Er hatte billigere Massagecreme verwendet als noch vor einer Woche. Konnte das der Grund sein? Er roch noch einmal am Vodka, stellte das Glas vor sich ab. Er hatte die Augen und die Lider von innen gereinigt. Die Kunststoffaugenklappen mit den Häkchen unter die Lider gequetscht. Watte in den Hintern gestopft, bis er schön voll war, und auch vernäht. Gröbere Stiche als im Gesicht. »Wir haben ja nicht den ganzen Tag Zeit«, wisperte er dem Glas zu. Die Vorhaut ordentlich verschnürt und das Ganze eingewindet. »Da läuft nichts raus«, murmelte er. »Nie. Keine Säfte, keine Seele.« »Oder rein«, korrigiert er sich. Er war sich nie sicher gewesen, ob die Seele im Körper blieb bis zu Bestattung und mit unter die Erde kam und daher nicht aus dem Körper heraussollte, oder ob sie sofort verschwand und besser nicht in den Sarg zurückkonnte. Er hätte vielleicht einmal einen Priester fragen sollen, hatte die Frage bislang aber als unwichtig betrachtet. Aber er liebte Sicherheit und hatte daher schon immer alle Körperöffnungen verschlossen, deshalb und aus medizinischen Gründen, und zudem bei geschlossenen Fenstern geschlafen. Zumindest war es ihm stets besser erschienen, keine toten Seelen zu sammeln. Zu gefährlich. Nun jedoch wäre es gut zu wissen gewesen, womit er konfrontiert war und ob es tatsächlich er war, den dieser Ivanov heimsuchte oder ob er ihm nur zufällig begegnet war. Denn wenn er ihn heimsuchte, wäre es besser gewesen, Klarheit zu haben, ob er als Seele dem gut verstopften, vernähten, versiegelten Körper entkommen war und damit körperlos und die Gesetze der Physik nicht achten müssend, oder vielleicht eher in den gut verstopften, vernähten, versiegelten Körper zurückgekehrt war, sich der Physik beugen musste, aber auch körperlich angreifen konnte, angreifbar war. Kirill beugte sich vor, linste ins Vorzimmer seiner Wohnung, doch kein Geist war zu sehen. Wieder roch er am Vodka. Er hatte die Gesichtsfarbe mit der Sprühdose aufgetragen. Vielleicht gab es ja einen geistlichen Notruf. Exorzisten, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Er kippte den Inhalt des Glases in den Mund, schluckte, würgte kurz. Atmete tief durch. Er hatte alle Gelenke geknickt und gebogen, die Hände arrangiert, hatte ihn angekleidet und mit ihm gesprochen, wie seine Mutter mit ihm gesprochen hatte, als er noch ein Kind gewesen war: »Arme hoch, ein Bein, anderes Bein, gerade den Fuß. Hurra! Fertig.« Ja, genau so, wie seine Mutter ihn angekleidet hatte, und ebenso widerspenstig wie ein Kleinkind ist eine Leiche allemal. Die Fingernägel geschnitten und gesäubert: »So, jetzt die zweite Hand, mein Junge.« Er hatte ihn frisiert, aber richtig hatte er es nicht hinbekommen. Er war eben kein Coiffeur. So sehr er sich auch bemüht hatte, so bedacht er auch vorgegangen war, mit der Ruhe, die er für die Arbeit von sich und seiner Umgebung auch forderte, der Ruhe, die nur die Toten bieten konnten. Doch wer verfolgt schon einen Friseur, der schlechte Arbeit geleistet hat. Das konnte der Grund nicht sein. Es gab keine Verfehlungen, nicht auf seiner Seite. Soweit er wusste, war auch danach alles seinem üblichen routinierten Gang gefolgt. Keine Unfälle. Er war sich keiner Schuld bewusst. So schön hatte er gearbeitet, dass er stolz auf sich sein konnte, so fest hatte er ihn verstopft und verschlossen, so streng vernäht, dass ein Schneider ihn gelobt hätte. Er hatte die Formulare ausgefüllt und unterzeichnet, dass er seine Arbeit vollständig und gewissenhaft getan hatte. Er war nicht nur den Pflichten nachgekommen, er hatte mehr als das Nötigste erfüllt. Er hatte ihn mit der Liebe einer Mutter, die gerade geboren hatte, bekleidet und ihm Windeln angelegt, hatte seinen Arm um ihn gelegt, um ihn aufzusetzen, als er ihm das Hemd anzog, sodass sie beinahe Gesicht an Gesicht waren und ihm Desinfektionsmittel und Make-up-Geruch in die Nase stiegen. Er hatte den Geruch stets am Körper: desinfiziert und geschminkt ist der Tod. Er hatte seinen Kopf gehalten, wie es der entbindende Arzt bei seiner Geburt getan haben musste, weil er ihn nicht selbst halten konnte. Er hatte ihn vorsichtig gewiegt, als er seinen Rücken wieder auf die Bahre zurücklegte. Als er ihm die Socken angezogen hatte, hatte er ihn kurz an den Fußsohlen gekitzelt. Hatte ihm, bevor er mit dem Haarschnitt begann, kurz über Kopf und Wange gestrichen. Hatte seine
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