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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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Tote. Dort wo Kunsthandwerk verkauft wurde, kreischte ein kleines Mädchen, deren Mutter sofort mit ihr schimpfte: »Ich kann dir das nicht kaufen, erst wenn wir wieder Geld haben.« Und das Mädchen rief der Mutter, die ein paar Schritte weitergegangen war, um dem Kind anzudrohen es zurückzulassen, hinterher: »Wann kaufst du denn endlich wieder Geld, Mama?«
    »Warte einen Moment hier«, sagte Maša, ging ein paar Schritte weiter, sie hatte russische Touristen gewittert, rief laut etwas von Glück und Segen und dass sie schwanger sei und ein anderes Kind habe, das Hilfe brauchte. Selbstverständlich hatte sie kein Kind, denn sonst hätte sie es mitgebracht, denn Kinder nahmen gewiss am meisten ein. Und wie viel es ihnen ums Glück nicht schade sei, und dass sie Dämonen in ihren Gesichtern sehe, die sie vertreiben könnte, dass sie wünschte, dass die Pflichten leichtfielen, dass Gott ein langes Leben gebe, bis die Touristen in ihren Tausenden Phrasen versunken waren, »Daj Rubel«. Die Ausbeute war gering, ein paar Münzen und zwei Zigaretten, denen, die nichts gegeben hatten, rief sie hinterher, dass sie der Teufel holen solle und ihre Kinder wie faule Früchte noch im Mutterleib verrotten sollten. Die schachspielenden Männer nahmen keine Notiz von den Rufen. Da waren auch Mädchen vor der Fontäne. Studentinnen, die sinnentbundenerweise touristische Fotos vor Springbrunnen schießen, um sie ins Internet zu stellen, damit die Fontäne im Hintergrund, die niemals ganz auf dem Bild zu sehen ist, beweise, wo man gewesen sei und um der Welt zu zeigen, dass man hübsch sei, auch wenn es nicht die Wahrheit ist und die Fremdeinschätzung ihnen eher riet, der Kamera aus dem Weg zu gehen, statt vor der Linse die Hüfte zu knicken, was die Röllchen noch sichtbarer machte. Aber vielleicht fände sich ja ein Mann, der sie auf der Fotografie, gerade jener einen, die sie auf Facebook oder Ähnliches stellten, attraktiv fände und sich als künftiger Ernährer erwiese. Die würde Maša nicht ansprechen, sie hatten sicher kein Geld. Maša kam zurück zu Anatol, gab ihm eine der Zigaretten, zündete sich ihre an. »Bist du wirklich schwanger?«, fragte er. Und Maša begann wieder zu kichern. »Warum wünschst du ihnen keinen Reichtum? Dann könnten sie mehr geben.« Aber Maša schüttelte den Kopf: »Reichtum macht nicht glücklich.« Anatol stieß ein kleines Lachen aus, indem er den Rauch aus der Nase schnaubte: »Sicher ein Gerücht, das die Reichen in die Welt gesetzt haben. Ich glaub’s erst, wenn ich es ausprobiert habe.« Dabei betrachtete er die Lexus und BMW , die ein Stück weiter parkten. Wieder kicherte Maša. »Ja, die Juden vielleicht. Aber im Moment siehst du nicht so aus, als würdest du’s ausprobieren. Mit dem Anzug hätte ich es vielleicht noch geglaubt.« Wieder ärgerte sich Anatol darüber. »Was hast du denn gearbeitet, bevor du gestorben bist?« Sie hob die Augenbrauen. Gestorben bist, gestorben bist, hallte es in Anatols Kopf noch nach, er konnte sich nicht erinnern. Was hatte er denn getan? Was hatte er den ganzen Tag getrieben? »Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe ganz lang Arbeit gesucht.« Maša zuckte mit den Schultern, und ohne ein Wort ließ sie ihn wieder stehen, um Leute anzubetteln. Čelobaka hatte wohl genug von den Tauben, trottete zu Anatol, und dieser machte sich auf den Weg zur Milicija in der Preobraženskaja, nur wenige Meter von hier. Trat durch die Tür und wurde begrüßt mit den Worten: »Was will denn der Bomž hier?« Anatol war nicht überrascht, denn schließlich sah er nicht nur so aus, sondern er hatte letzte Nacht tatsächlich kein Dach über dem Kopf gehabt.
    »Ich hätte gern, ich meine, ich glaube, dass man mich für tot hält«, antwortete Anatol, seine Finger seitlich an den Beinen in die Kleidung krallend. Ein alter Mann war nach ihm eingetreten, fragte, ob er hier richtig sei für die Verlängerung seines Passes. »Ein internationaler?« »Neinnein, ein gewöhnlicher, kein zagran, nur der normale«, dass er nach Russland fahren könne. Anatol hatte gerade gar keinen Pass, keinen Ausweis, kein Papier, weniger Seiten, weniger Leben. Der alte Mann wurde in die Bunina geschickt, und der Milicionär erklärte seinem Kollegen, dass sie nach dem Dichter Bunin benannt sei, und der meinte, dass er das selbstverständlich wisse, aber wie ihm der Erste erklärte, wisse er sicher nicht, dass es in der Sowjetzeit einen General Bunin gab, nach dem sie früher benannt gewesen

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