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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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Filament. Hier würde er lauern, hier würde er die Nacht abwarten, bis er wusste, was er tun konnte, um davonzufliegen vor seinem Gespenst. Er würde Nahrung brauchen, je nachdem, wie lange er hier bliebe. Serjoga, einer von den Schauflern, würde ihm gewiss zu essen bringen, riefe er ihn an. Der abergläubische Serjoga hätte vielleicht auch eine Hühnergottmuschel für ihn. Das Münzgeld des wilden Meeres, wie es in den Wänden seines Wohnhauses eingekalkt, eingemauert war. Als er hier, wo er sich sicher fühlte, darüber nachdachte, war ihm klar, dass dieser Anatol Grigorjevič sich an ihn gewandt hatte, um nach dem Weg zu fragen. Wen hätte er auch sonst fragen sollen, als den, der ihn für seinen Fortgang vorbereitet hatte. Wenngleich Kirill in Gedanken noch anfügte, dass Anatol Grigorjevič hätte klar sein müssen, dass seinen Weg kein Lebender, auch kein Leichenwäscher, kannte. Diesmal würde es keine Kunst sein, wenn er nachts auf die Toilette schlich, die Wärme seiner Decke zu erhalten, nur dass er seinen Schutz nicht durcheinanderbrachte. Dann schlief er ein. Er erwachte erst wieder, als der Geist auf seinem Hügel saß und seinen Kopf in Kirills Höhle steckte. Kirill konnte sich nicht rühren, das Gewicht Ivanovs war zu viel, als dass er auch nur einen Finger oder einen Zeh bewegen konnte. Er hatte ihn gelähmt. Auch die Zunge war taub, sonst hätte er gefragt, ob Anatol Grigorjevič den Weg schon wisse. Doch auch ohne die Frage antwortete Anatol, dass er ihn gefunden habe und Kirill doch mitkommen könne. Gern hätte Kirill den Kopf geschüttelt, konnte ihn aber nicht rühren. Wirst du mich würgen?, Koshmar, Nachtmahr, du?, dachte er und Anatol nickte in Kirills Berg hinein, legte die Hände um dessen Hals, während das Gewicht seines Körpers und des Filaments auf Kirills Magen und Brust drückte. Er hörte auf zu atmen.

XIII
    Ближе лампы. Ближе лица белые.
Да, по всему видать – пропала моя голова!
    Саша Башлачёв
    Anatol Grigorjevič machte sich auf den Weg, er würde zur Milicija gehen und erklären, dass er nicht tot war, dass er seine Wohnung gerne wieder hätte, schließlich hatte er doch einen Mietvertrag unterschrieben. Wahrscheinlich. Für eine Sekunde glaubte er sogar verstanden zu haben, dass er tot gewesen war. Doch als er versuchte, diesen Gedanken logisch zu Ende zu führen, gelang es ihm nicht, er war gerade wieder am Kathedralenplatz angekommen und hörte eine bekannte Stimme hinter sich: »Wo ist dein Hund?« Es war Maša, die kicherte, als er sich umdrehte, dass die Münzen, die über ihren Brüsten an der Kleidung hingen, klirrend aneinanderschlugen. Sie wirkte älter bei Tageslicht, trotz der Mädchenstimme. »Was läufst du noch immer in Papas Sachen herum? Du siehst aus wie ein Clown!« »Was sollte ich denn sonst anziehen? Alles, was ich hatte, wurde weggeworfen«, entgegnete ihr Anatol, dem das Frauengelächter ebenso unangenehm war wie es ein Blick in den Spiegel gewesen wäre. »Aber Mamočka hat dir doch den Totenanzug mitgegeben.« Sie kicherte wieder. Anatol mochte Clowns nicht sonderlich, sie waren meistens laut und hatten Trillerpfeifen, und ohne einen Paukenschlag waren Pointen nicht erkennbar. Er konnte sich nicht an den Anzug erinnern, ja, tatsächlich, sie hatte ihm diesen über den Arm gelegt. Aber er wusste nicht, wo er ihn liegen gelassen haben mochte. Am Privoz? In der Wohnung? Im Park? Ihm schauderte ein bisschen vor sich selbst, wie er so unglaublich dumm hatte sein können, denn er hatte noch nie einen Anzug besessen, war aber sicher, dass ihm in den letzten Stunden so manches leichter gefallen wäre, hätte er nicht derartige clownhafte Landstreicherkleidung getragen, sondern einen Anzug. Der einzige Anzug, den er je besessen hatte. Wie er sich auch konzentrierte, er konnte sich an keinen einzigen Anzug erinnern, den er sein Lebtag gehabt hätte. Dann wäre er nicht einfach Anatol, der Totgeglaubte, sondern der elegante Totgeglaubte. »Wo ist dein Hund?«, fragte Maša noch einmal und hatte endlich aufgehört zu kichern. Anatol sah sich um, eben war er noch hier gewesen, neben ihm, hatte ihn vom Park weg begleitet. Aber Maša hatte ihn nun selbst gefunden, vergnügt tobte er durch die Tauben vor dem Springbrunnen, scheuchte sie immer wieder hoch. Wie es wohl wäre, stürzte jetzt eine der mächtigen Säulen des Kathedraleneingangs einfach ein, hinunter? Dann wäre er nicht der einzige

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