Der Präsident
etwas über ihn.«
»Sie meinen jemanden, dem man so etwas unmöglich zutrauen würde? Dass Luther es deshalb gar nicht erst versuchen wollte?«
»Mehr noch, Seth.« Jack bog um eine Kurve und hielt auf das YMCA-Gebäude zu. »Bevor das alles passiert ist, habe ich Luther noch nie ängstlich erlebt. Aber jetzt hat er Angst. Eine Heidenangst, um genau zu sein. Er hat sich damit abgefunden, die Schuld für den ganzen Schlamassel auf sich zu nehmen, und ich weiß einfach nicht, weshalb. Ich meine, schließlich war er ja schon außer Landes.«
»Und ist zurückgekommen.«
»Richtig, und ich kann mir nicht vorstellen, wieso. Übrigens, haben Sie das Datum?«
Frank schlug sein Notizbuch auf und nannte ihm den genauen Tag.
»Was zur Hölle ist also nach Christine Sullivans Ermordung und vor diesem Datum geschehen, das Luther bewogen hat, zurückzukommen?«
Frank schüttelte den Kopf. »Könnte alles Mögliche gewesen sein.«
»Nein, es war etwas ganz Bestimmtes. Und wenn wir herausfinden, was es war, könnten wir vielleicht Licht in die Sache bringen.«
Frank steckte das Notizbuch in die Tasche und fuhr beiläufig mit der Hand über die Armaturen.
Jack stellte den Motor ab und lehnte sich in seinen Sitz zurück.
»Er hat nicht bloß um sich selbst Angst. Aus irgendeinem Grund hat er Angst wegen Kate.«
Frank wirkte verblüfft. »Glauben Sie, Kate wurde von jemandem bedroht?«
Jack schüttelte den Kopf. »Nein. Das hätte sie mir erzählt. Ich glaube, irgendjemand hat Luther zu verstehen gegeben, dass er besser den Mund halten soll, wenn ihm das Leben seiner Tochter lieb ist.«
»Glauben Sie, es waren dieselben Leute, die versucht haben, ihn auszuschalten?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht.«
Frank ballte beide Hände zur Faust und blickte aus dem Seitenfenster. Er holte tief Atem und sah Jack an. »Hören Sie, Sie müssen Luther zum Sprechen bringen. Wenn er uns denjenigen ans Messer liefert, der Christine Sullivan umgebracht hat, empfehle ich im Gegenzug für seine Zusammenarbeit Bewährung und Sozialarbeit. Keinen einzigen Tag wird er absitzen. Ach, Sullivan würde ihn vermutlich sogar die Beute behalten lassen, wenn wir den Kerl festnageln könnten.«
»Sie empfehlen?«
»Sagen wir, ich werde es Gorelick in seinen dicken Schädel hämmern. Einverstanden?« Frank streckte Jack die Hand hin.
Jack ergriff sie. »Einverstanden.«
Frank stieg aus dem Wagen, steckte den Kopf jedoch nochmals herein. »Soweit es mich betrifft, wenn mich jemand fragt, hat es unser heutiges Treffen nie gegeben. Alles, was Sie mir erzählt haben, behalte ich für mich, ausnahmslos. Selbst im Zeugenstand. Das meine ich ernst.«
»Danke, Seth.«
Gemächlich schlenderte Seth Frank zurück zu seinem Wagen, während der Lexus die Straße entlangrollte, um die Ecke bog und verschwand.
Burschen wie Luther Whitney kannte er ganz genau. Was, zur Hölle, konnte einem solchen Mann nur so viel Angst einjagen?
KAPITEL 22 Um halb acht Uhr morgens bog Jack auf den Parkplatz der Polizeiwache von Middleton. Es war ein klarer, aber bitterkalter Morgen. Zwischen ein paar schneebedeckten Streifenwagen stand die schwarze Limousine. Die Motorhaube war bereits abgekühlt, was Jack verriet, dass Seth Frank Frühaufsteher war.
Luther sah heute anders aus; er hatte die orangefarbene Gefängniskleidung gegen einen zweiteiligen braunen Anzug mit Hemd und gestreifter Krawatte getauscht. Das dichte, graue Haar war ordentlich frisiert, die Sonnenbräune erinnerte noch an Luthers Aufenthalt auf Barbados. Er hätte als Versicherungsvertreter oder altgedienter Teilhaber einer Anwaltskanzlei durchgehen können. Mancher Strafverteidiger hob sich die gutbürgerliche Kleidung für den eigentlichen Prozess auf, damit die Geschworenen sahen, dass der Angeklagte doch kein so übler Kerl war, sondern lediglich nicht mit seinem Leben zurechtkam. Doch Jack hatte darauf bestanden, dass man seinem Mandanten die ganze Zeit über zivile Kleidung zur Verfügung stellte. Und nicht bloß aus taktischen Gründen. Seiner Meinung nach verdiente Luther es nicht, in Grellorange vorgeführt zu werden. Wohl mochte er ein Krimineller sein, doch er war keiner jener Sorte, in deren Nähe man jederzeit eine Klinge zwischen die Rippen oder Reißzähne in die Kehle bekommen konnte. Diese Typen verdienten es, Orange zu tragen, und sei es nur, damit ständig ein Sicherheitsabstand zwischen ihnen und allen anderen gewahrt werden konnte.
Diesmal sparte Jack sich die Mühe, die Aktentasche
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