Der Präsident
Dreckskerl! Dieser miese Dreckskerl!« Der alte Mann spie die Worte förmlich aus.
Die Tür flog auf, und ein fettleibiger Wächter steckte den Kopf herein, mit der Hand an der Waffe. Jack bedeutete ihm, dass alles in Ordnung sei. Zögernd zog der Mann sich zurück, ohne dabei die Augen von Luther abzuwenden.
Jack ging hinüber und hob die Zeitung auf. Ein Foto von Luther vor dem Polizeirevier begleitete die Titelgeschichte. Die Schlagzeile war fett und in Großbuchstaben gedruckt, wie sie normalerweise nur den Siegen der Skins bei der Super Bowl vorbehalten waren: »HEUTE ANKLAGE IM MORDFALL SULLIVAN«. Jack überflog den Rest der Titelseite. Weitere Morde in der früheren Sowjetunion im Zuge der ethnischen Säuberung. Das Verteidigungsministerium machte sich auf eine neue Budgetkürzung gefasst. Seine Augen wanderten auch über Präsident Alan Richmond, registrierten ihn aber nicht wirklich. Der Präsident kündigte an, erneut Schritte in Sachen Sozialreform unternehmen zu wollen. Das Begleitbild, das den Präsidenten in einem Kinderheim im ärmlichen Südwesten von Washington zeigte, passte wunderbar dazu.
Das lächelnde Gesicht hatte Luther wie ein Schlag in die Magengrube getroffen. Vor den Augen der ganzen Welt wiegte er arme schwarze Babys. Dieses miese, verlogene Arschloch! Auf brutalste Weise drosch die Faust auf Christine Sullivan ein. Blut spritzte durch die Luft. Hände legten sich wie eine hinterhältige Schlange um ihre Kehle und wollten das Leben aus ihr pressen, ohne auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Ein Leben hatte er gestohlen, genau das. Er küsste Babys und tötete Frauen.
»Luther? Luther?« Sanft legte Jack eine Hand auf Luthers Schulter. Der alte Mann zitterte am ganzen Leib wie ein Motor, der dringend gewartet werden muss, der zu zerspringen droht, als sei die alte, verrostete Hülle ihm nicht mehr gewachsen. Einen entsetzlichen Augenblick lang fragte sich Jack, ob Luther die Frau tatsächlich getötet, ob sein alter Freund womöglich die Grenze überschritten hatte. Doch seine Befürchtungen wurden zerstreut, als Luther sich umwandte und ihn ansah. Die Ruhe war zurückgekehrt, die Augen waren wieder klar und konzentriert.
»Erzähl ihr einfach, was ich dir gesagt habe, Jack. Und dann lass uns das hier zu Ende bringen.«
Lange Zeit galt das Gerichtsgebäude von Middleton als Herzstück des County. Einhundertfünfundneunzig Jahre war es alt und hatte im Krieg von 1812 die Briten überdauert, danach im Krieg der Nördlichen Aggression beziehungsweise im Bürgerkrieg – je nachdem, ob man es aus der Sicht eines Nordstaatlers oder Südstaatlers betrachtete – die Yankees und die Konföderierten. 1947 hauchte eine aufwendige Renovierung dem Gebäude neues Leben ein, und die guten Bürger der Stadt erwarteten, dass es noch für ihre Urenkel bereit stehen würde, damit sich diese daran erfreuen und gelegentlich hineinspazieren konnten, hoffentlich um nichts Schlimmeren als eines Strafzettels wegen oder um eine Heiratsurkunde ausstellen zu lassen.
Hatte es zuvor allein am Ende der zweispurigen Straße gestanden, die das Geschäftsviertel von Middleton bildete, so teilte es sich den Platz nun mit Antiquitätengeschäften, Restaurants, einem Supermarkt, einem riesigen Motel und einer Tankstelle, die ganz aus Ziegelsteinen gebaut war, um die architektonische Tradition des Umfeldes nicht zu stören. Ein paar Gehminuten entfernt stieß man auf unzählige Kanzleien, in denen die Diplome zahlreicher angesehener Bezirksanwälte dekorativ und durchaus würdevoll an der Wand hingen.
Außer am Freitag vormittag, dem Antragstermin für Zivil -und Strafprozesse, war es im Gerichtsgebäude von Middleton normalerweise recht ruhig. Im Augenblick jedoch spielten sich davor Szenen ab, bei deren Anblick sich die Gründerväter der Stadt in ihren Gräbern herumgedreht hätten. Auf den ersten Blick konnte man vermuten, dass die Blau- und die Grauröcke abermals zusammengetroffen waren, um ein für allemal Frieden zu schließen.
Sechs Übertragungswagen mit dicken Lettern an beiden Seiten hielten unmittelbar vor den Stufen zum Gericht. Die Sendeantennen waren bereits himmelwärts ausgefahren. Zehnreihige Menschentrauben drückten und drängten gegen eine Mauer von Sheriffs und grimmig wirkenden Staatspolizisten, die schweigend die Schar der Reporter im Zaum hielten, welche mit Notizblöcken, Mikrofonen und Kugelschreibern vor ihren Nasen herumfuchtelten.
Zum Glück verfügte das Gerichtsgebäude über
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