Der Prediger von Fjällbacka
Entlassungsgesuches zu beginnen, bevor man ihn hier rausschmiß. Entsetzt wurde ihm bewußt, daß jahrelanges zielbewußtes Kriechen vor dem Chef durch eine einzige unglückselige Handlung zunichte gemacht worden war.
Die Frau ließ Mellberg los und wandte sich nach hinten, um anklagend auf Ernst zu zeigen, der töricht dastand und ihre Handtasche hielt.
»This brutal man put his hands on me! He say I steal! Oh, Bertil, you must help your poor Irina!«
Linkisch tätschelte er ihr die Schulter, was erforderte, daß er die Hand ungefähr zur Höhe der eigenen Nase heben mußte.
»You go home, Irina, okay? To house. I come later. Okay?«
Sein Englisch konnte bestenfalls holprig genannt werden, aber sie verstand, was er sagte, und es gefiel ihr nicht.
»No Bertil. I stay here. You talk to that man, and I stay here and see you work, okay?«
Er schüttelte entschieden den Kopf und schob sie mit sanfter Gewalt vor sich her. Sie drehte sich unruhig um und sagte: »But Bertil, honey, Irina not steal, okay?«
Dann stolzierte sie auf ihren hohen Absätzen aus der Tür, nachdem sie Ernst einen letzten triumphierenden Blick zugeworfen hatte. Der starrte jedoch noch immer auf den Teppich, weil er fürchtete, Mellberg anzusehen.
»Lundgren! In mein Büro!«
In Ernsts Ohren klang das, als sei der Tag des Jüngsten Gerichts angebrochen. Er trottete gehorsam hinter Mellberg her. Aus allen Türen lugten noch immer die Köpfe heraus, und die Münder standen offen. Nun wußten sie zumindest, woher Mellbergs Stimmungsumschlag rührte .
»Jetzt bist du so gut und erzählst, was passiert ist«, sagte Mellberg.
Ernst nickte matt. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Diesmal war nicht die Wärme daran schuld.
Er berichtete von dem Tumult bei Hedemyrs und wie er die Frau beim Gerangel mit der Verkäuferin gesehen hatte. Mit zitternder Stimme schilderte er auch, wie er den Inhalt der Tasche auf den Boden entleert und eine Anzahl Waren gefunden hatte, die nicht bezahlt worden waren. Dann verstummte er und wartete auf das Urteil. Zu seiner Verwunderung lehnte sich Mellberg mit einem tiefen Seufzer zurück.
»Ja, ein verdammter Schlamassel, in den ich da geraten bin.«
Er zögerte einen Moment, dann beugte er sich hinunter, zog eine Schublade auf, nahm etwas heraus und warf es vor Ernst auf den Tisch.
»Das hier habe ich erwartet. Seite drei.«
Neugierig nahm Ernst das Heft auf, das aussah wie ein Schulkatalog, und blätterte es auf. Die Seiten waren voller Bilder von Frauen, versehen mit knappen Angaben über Größe, Gewicht, Augenfarbe und Interessen. Er verstand plötzlich, was Irina war. Eine »Versandhausfrau«. Allerdings gab es keine größere Ähnlichkeit zwischen der wirklichen Irina und dem Porträt plus Informationen, die der Katalog über sie enthielt. Sie hatte wenigstens zehn Jahre, zehn Kilo und zwei Pfund Schminke verschwiegen. Auf dem Bild war sie schön, wirkte unschuldig und blickte mit einem breiten Lächeln in die Kamera. Ernst sah das Foto an und dann Mellberg, der resigniert die Arme hob: »Du siehst, DAS da hatte ich erwartet. Wir haben ein ganzes Jahr korrespondiert, und ich konnte es kaum erwarten, diese Frau hierherzubekommen.« Er wies mit dem Kopf zu dem Katalog auf Ernsts Schoß. »Und dann ist also die gekommen.« Er seufzte. »Das war wirklich wie eine kalte Dusche, kann ich dir sagen. Und sofort ging es los: Bertil, Liebling, kauf mir dieses und kauf mir das. Ich habe sie sogar dabei erwischt, wie sie, als sie dachte, ich merke es nicht, meine Brieftasche beim Wickel hatte. Ja, Scheiße, was für ein Schlamassel.«
Er schlug sich auf das Haarnest auf dem Kopf, und Ernst konstatierte, daß der Mellberg, der sich eine Zeitlang um sein Aussehen gekümmert hatte, wieder verschwunden war. Jetzt hatte das Hemd erneut Flecken, und die Schweißringe unter den Armen waren groß wie Kuchenteller. Irgendwie wirkte das beruhigend. Die Dinge hatten wieder ihre Ordnung.
»Ich verlasse mich darauf, daß du die Sache hier nicht breittrittst.«
Mellberg drohte Ernst mit dem Finger, der eifrig den Kopf schüttelte. Kein Wort würde ihm über die Lippen kommen. Er verspürte Erleichterung, man würde ihn trotz allem nicht hinauswerfen.
»Können wir diesen kleinen Zwischenfall dann vergessen? Ich werde das schon entsprechend regeln. Gleich mit dem ersten Flieger in Richtung Heimat, und nicht anders.«
Ernst erhob sich und ging dienernd rückwärts zur Tür.
»Und dann kannst du den Leuten da draußen sagen, sie
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