Der Prediger von Fjällbacka
nicht, hörst du! Wir halten zusammen. Jetzt hilfst du Mama, die Alben wieder aufzuheben.«
Roberts Wut verpuffte. Er strich sich über die Augen und betrachtete entsetzt das Durcheinander um sich herum. Solveig lag schluchzend wie ein großer weicher Haufen Verzweiflung auf dem Boden, während ihr kleine Bilderschnipsel zwischen den Fingern durchfielen. Ihr Weinen war herzzerreißend. Robert sank neben ihr auf die Knie und schlang die Arme um sie. Zärtlich strich er ihr eine fettige Strähne aus der Stirn und half ihr dann aufzustehen.
»Entschuldige, Mutter, entschuldige bitte, bitte. Ich werde dir helfen, die Alben wieder in Ordnung zu bringen. Bei den kaputten Bildern kann ich nichts machen, aber das waren ja nicht so viele. Guck mal, die besten sind noch da. Sieh mal, wie schön du hier gewesen bist.«
Er hielt ihr ein Bild hin. Solveig in einem sittsam geschnittenen Badeanzug mit einer Schärpe über der Brust, auf der »Maikönigin 1967« stand. Und sie war schön. Das Weinen ging in trockenes Schluchzen über. Sie nahm ihm das Bild aus der Hand, und ein Lächeln zeigte sich. »Ja, ich bin doch wohl schön gewesen, Robert?«
»Jaa, Mutter, das bist du. Das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe!«
»Findest du wirklich?«
Sie lächelte kokett und strich ihm übers Haar. Er half ihr wieder auf den Küchenstuhl.
»Ja, das finde ich. Ehrenwort.«
Ein Weilchen später war alles aufgesammelt, und sie saß wieder da und bosselte glücklich an ihren Alben herum. Johan gab Robert durch ein Nicken zu verstehen, er solle mit nach draußen kommen. Sie setzten sich auf die Treppe vor dem Haus und zündeten sich jeder eine Zigarette an.
»Mensch, Robert, du darfst jetzt nicht ausrasten.«
Robert scharrte mit dem Fuß im Sand. Er sagte nichts. Was sollte er auch sagen?
Johan nahm einen tiefen Zug und ließ den Rauch genießerisch zwischen den Lippen durchsickern. »Wir dürfen ihnen nicht in die Hände spielen. Ich habe wirklich gemeint, was ich da drinnen gesagt habe. Wir müssen zusammenhalten.«
Noch immer saß Robert schweigend da. Er schämte sich. Vor ihm, dort, wo er den Fuß hin und her bewegt hatte, war eine tiefe Kuhle zurückgeblieben. Er warf die Kippe hinein und scharrte Sand darüber. Eine Maßnahme, die an und für sich ziemlich unnötig war. Der Boden um sie herum war übersät von alten Stummeln. Wenig später wandte er Johan den Blick zu.
»Du, das da mit diesem Mädchen, das du auf Västergärden gesehen hast«, er zögerte, »ist das wahr?«
Johan nahm einen letzten Zug aus seiner Zigarette und warf sie dann ebenfalls auf die Erde.
»Da kannst du einen drauf lassen, daß das wahr ist.« Dann ging er ins Haus.
Robert blieb sitzen. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte er, wie sich zwischen ihm und seinem Bruder ein Abgrund auftat. Das versetzte ihn in Panik.
Der Nachmittag verlief in trügerischer Ruhe. Bevor man ihnen nicht weitere Details zu Johannes’ Überresten mitgeteilt hatte, wollte Patrik nichts Übereiltes tun, also saß er mehr oder weniger da und wartete darauf, daß das Telefon klingelte. Er fühlte sich rastlos und ging zu Annika hinüber, um ein paar Minuten zu plaudern.
»Wie läuft’s?« Wie üblich sah sie ihn über ihren Brillenrand hinweg an.
»Diese Hitze macht es ja nicht gerade leichter.« Im selben Moment, als er das sagte, bemerkte er eine angenehme Brise in Annikas Zimmer. Ein großer Ventilator lief surrend auf ihrem Schreibtisch, und Patrik schloß vor Wohlbehagen die Augen.
»Warum habe ich nicht an so was gedacht? Ich habe doch für Erica zu Hause einen Ventilator gekauft, weshalb habe ich nicht gleich einen für hier mitgenommen? Das werde ich morgen als erstes machen, die Sache ist klar.«
»Erica, ja, wie steht’s mit ihrem Bauch? Es muß schwer für die Ärmste sein in dieser Hitze.«
»Ja, bevor ich ihr den Ventilator gekauft habe, war sie nahe daran, sich aufzulösen. Schlecht schlafen tut sie auch, hat Krämpfe in den Waden, kann überhaupt nicht mehr auf dem Bauch liegen, ja all das, du weißt schon.«
»Na ja, ich kann nicht gerade behaupten, daß ich das weiß«, sagte Annika.
Patrik begriff erschrocken, was er da gesagt hatte. Annika und ihr Mann hatten keine Kinder, und er hatte nie nach dem Grund zu fragen gewagt. Vielleicht konnten sie keine Kinder bekommen, und dann wäre er mit seinem unbedachten Kommentar wirklich ins Fettnäpfchen getreten. Sie sah seine Verlegenheit.
»Mach dir keinen Kopf. Das war unsere eigene
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