Der Prediger von Fjällbacka
ändern.
Mitten in der Entscheidung zwischen Zimtschnecken und Delikatkugeln erregte ein Heidenlärm im Obergeschoß seine Aufmerksamkeit. Er legte die Gebäckstücke weg und ging nach oben, um nachzuschauen. Das Geschäft war in drei Etagen unterteilt. Zu ebener Erde lagen das Restaurant, der Kiosk und die Buchhandlung, im Zwischengeschoß befand sich die Feinkostabteilung, und ganz oben konnte man Kleidung, Schuhe und Geschenkartikel erwerben. Zwei Frauen standen an der Kasse und zerrten an einer Handtasche. Die eine Frau hatte ein Namensschild an der Brust, das sie als Verkäuferin auswies, während die andere Frau aussah, als sei sie einem russischen Low-Budget-Film entstiegen. Minirock, Netzstrümpfe, ein Top, das einer Zwölfjährigen gepaßt hätte, und genügend Schminke, um an eine Farbskala der Kosmetikindustrie zu erinnern.
»No, no, my bag!« schrie die Frau gellend in schlechtem Englisch.
»I saw you took something«, erwiderte die Verkäuferin mit deutlich schwedischer Sprachmelodie. Sie wirkte erleichtert, als Ernst auftauchte.
»Gott sei Dank, nehmen Sie die Frau hier fest. Ich habe gesehen, wie sie durchs Geschäft gelaufen ist und sich alles mögliche in die Tasche gestopft hat, und dann wollte sie damit ganz unverfroren hier rausspazieren.«
Ernst zögerte nicht. Mit zwei langen Schritten war er zur Stelle und packte die mutmaßliche Diebin beim Arm. Da er kein Englisch konnte, bemühte er sich gar nicht erst, irgendwelche Fragen zu stellen. Statt dessen riß er ihr brüsk die geräumige Tasche aus der Hand und kippte deren Inhalt ganz einfach auf den Boden. Heraus fielen ein Fön, ein Rasierapparat, eine elektrische Zahnbürste und, aus unerfindlichem Grund, ein Keramikschwein mit einem Mittsommerkranz auf dem Kopf.
»Und was sagst du dazu, he?« fragte Ernst auf schwedisch. Die Verkäuferin übersetzte.
Die Frau schüttelte nur den Kopf und versuchte auszusehen, als wüßte sie nicht, was man von ihr wollte. Sie sagte: »I know nothing. Speak to my boyfriend, he will fix this. He is boss of the police!«
»Was sagt die Person?« fauchte Ernst. Es ärgerte ihn, daß er sich auf Weiber verlassen mußte, um die Sprache zu verstehen.
»Sie sagt, sie weiß überhaupt nichts. Und daß Sie mit ihrem Freund reden sollen. Sie sagt, er ist der Chef der Polizei!«
Die Verkäuferin schaute verblüfft zwischen Ernst und der Frau hin und her, die jetzt ein überlegenes Lächeln aufgesetzt hatte.
»O ja, sie wird schon mit der Polizei reden können. Dann werden wir ja sehen, ob sie bei diesem Gefasel bleibt. Die Nummer funktioniert vielleicht in Rußland, oder wo auch immer Sie herkommen mögen, meine Dame, aber hier klappt so was nicht«, schrie er ihr direkt ins Gesicht. Sie verstand kein Wort, aber wirkte zum erstenmal etwas unsicher.
Brüsk zerrte Ernst sie aus dem Kaufhaus und über die Straße in Richtung Polizeirevier. Die Frau mit ihren hohen Absätzen wurde geradezu hinter ihm hergeschleift, und die Leute in den Autos nahmen das Gas weg, um sich das Spektakel anzusehen. Annika riß die Augen auf, als er an der Rezeption vorbeistürmte.
»Mellberg!« Ernst brüllte so laut, daß es im Flur widerhallte. Patrik, Martin und Gösta steckten die Köpfe aus ihren Zimmern, um zu sehen, was im Gange war. Ernst rief noch einmal in Richtung Mellbergs Büro. »Mellberg, komm her, ich habe hier deine Verlobte!« Er gluckste vor sich hin. Jetzt würde sie in der Patsche sitzen. Es blieb beunruhigend still in Mellbergs Zimmer, und Ernst begann sich zu fragen, ob der Chef während der Zeit, als er selber einkaufen war, vielleicht das Haus verlassen hatte. »Mellberg?« rief er ein drittes Mal, jetzt etwas weniger begeistert über seinen Plan, die Frau ihrer Lüge zu überführen. Nach einer langen Minute, als Ernst da mitten im Flur stand, die Frau im festen Griff, und alle ihn mit großen Augen anstarrten, kam Mellberg aus seinem Büro. Den Blick auf den Boden gerichtet, begriff Ernst mit einem immer dumpferen Gefühl im Magen, daß sich die Dinge wohl nicht so wunderbar entwickeln würden, wie er es sich vorgestellt hatte.
»Beeertil!« Die Frau riß sich los und rannte auf Mellberg zu, der in seinen Bewegungen erstarrte wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Da sie gut einen Kopf größer war als er, sah es, gelinde gesagt, lustig aus, als sie ihn an sich drückte. Ernst kriegte den Mund nicht wieder zu. Mit dem Gefühl, im Boden zu versinken, beschloß er, sofort mit der Formulierung seines
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