Der Prediger von Fjällbacka
aufs Knie. In diesem Moment vermißte er Linda mehr als je zuvor, doch die Sehnsucht war noch immer mit Zorn vermischt. Vielleicht würde es nie mehr anders werden. Zumindest hatte er etwas von seiner Naivität verloren und die Kontrolle zurückgewonnen, die er niemals hätte aus der Hand geben dürfen. Aber Linda war wie ein Gift für seine Seele gewesen. Ihr fester junger Körper hatte ihn zum lallenden Idioten gemacht. Er war auf sich selbst wütend, weil er einer Tussi erlaubt hatte, daß sie ihm so unter die Haut ging.
Er wußte, daß er ein Träumer war. Das war der Grund, warum er sich derart an Linda verloren hatte. Obwohl sie viel zu jung, viel zu selbstsicher und viel zu egoistisch war. Er wußte, daß sie nie in Fjällbacka bleiben würde und es nicht die Spur einer gemeinsamen Zukunft für sie beide gab. Aber dem Träumer in ihm war es dennoch schwergefallen, diese Tatsache zu akzeptieren. Jetzt wußte er es besser.
Johan gelobte sich, sein Wesen zu ändern. Er wollte versuchen, mehr wie Robert zu werden. Cool, hart und unüberwindlich. Robert landete immer auf den Füßen. Nichts schien ihn zu berühren. Johan beneidete ihn.
Er vernahm ein Geräusch in seinem Rücken und wollte sich umdrehen, in der Überzeugung, daß Robert hereingekommen war. Der Würgegriff um seinen Hals nahm ihm den Atem.
»Rühr dich nicht, sonst breche ich dir das Genick.«
Johan erkannte die Stimme vage wieder, konnte sie aber nicht zuordnen. Als sich der Griff um die Kehle lockerte, wurde er gegen die Wand geschleudert, so daß ihm die Luft wegblieb.
»Verdammt, was machst du?« Johan versuchte sich umzudrehen, aber jemand hielt ihn gepackt und preßte sein Gesicht gegen die kalte Betonwand.
»Maul halten.« Die Stimme klang unversöhnlich. Johan überlegte, ob er um Hilfe rufen sollte, doch glaubte er nicht, daß man ihn bis zum Haus hören würde.
»Verdammt, was willst du?« Die Worte ließen sich nur schwer formulieren, da die eine Gesichtshälfte fest an der Wand klebte.
»Was ich will? Ja, du, das werde ich dir sagen.«
Als der Angreifer seine Forderung stellte, begriff Johan zuerst kein Wort. Aber als er dann herumgedreht wurde und Auge in Auge mit dem stand, der ihn attackiert hatte, fügte sich eins zum anderen. Ein Faustschlag mitten ins Gesicht gab ihm zu verstehen, daß es dem anderen ernst war. Doch da regte sich Trotz in ihm.
»Leck mich«, nuschelte Johan. Sein Mund füllte sich allmählich mit einer Flüssigkeit, die nur Blut sein konnte. Er fühlte sich immer umnebelter, aber weigerte sich nachzugeben.
»Du machst, was ich sage.«
»Nein«, stammelte Johan.
Dann regneten Schläge auf ihn herab. Ohne Pause, bis die große Dunkelheit ihn einhüllte.
Der Hof war wunderbar. Martin konnte nicht umhin, diese Feststellung zu treffen, als sie, um ihre Arbeit zu machen, ins Privatleben Jacobs und seiner Familie eindrangen. Die Farben im Haus waren sanft, die Räume strahlten Wärme und Ruhe aus und wirkten ländlich mit ihren weißen Leinentischdecken und den leichten flatternden Gardinen. Ein solches Zuhause hätte er selbst auch gern gehabt. Jetzt aber waren sie gezwungen, diese Ruhe zu stören. Methodisch gingen sie das Haus Stück für Stück durch. Niemand sagte etwas, alle arbeiteten schweigend. Martin konzentrierte sich aufs Wohnzimmer. Das frustrierende war, daß sie nicht wußten, wonach sie suchten. Selbst wenn sie eine Spur des Mädchens finden sollten, war sich Martin nicht sicher, daß sie erkannt würde.
Zum erstenmal seit er so stark dafür plädiert hatte, daß Jacob der Gesuchte war, begann er zu zweifeln. Es war unmöglich, sich vorzustellen, daß jemand, der in einer so friedvollen Umgebung und auf diese Weise wohnte, einem anderen Menschen das Leben nehmen könnte.
»Wie läuft es bei euch?« rief er den Polizisten zu, die sich im Obergeschoß aufhielten.
»Nichts bisher«, antwortete einer von ihnen. Martin seufzte, zog weiter Schubladen auf und drehte alles um, was nicht niet- und nagelfest war.
»Ich fange draußen mit der Scheune an«, sagte er zu dem Polizisten aus Uddevalla, der sich an der Suche im Erdgeschoß beteiligte.
Die Scheune war wohltuend kühl. Er verstand, warum Linda und Johan diesen Ort zu ihrem Treffpunkt erwählt hatten. Der Heugeruch kitzelte in der Nase und ließ ihn an die Sommer seiner Kindheit denken. Er stieg die Leiter zur Tenne hoch und guckte durch die Ritzen der Bretterwand. Ja doch, hier hatte man eine gute Aussicht auf Västergärden, genau wie
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