Der Prediger von Fjällbacka
hätte noch schlimmere Folgen. Glücklicherweise war es Aufgabe des Chefs der Dienststelle, sich mit solchen Fragen zu befassen. Er überließ es Mellberg nur zu gern, sich um diese Dinge zu kümmern.
Mit den Fingern rieb er sich die Nasenwurzel. Ein heftiger Kopfschmerz war im Anzug. Patrik war im Begriff, eine Kopfschmerztablette zu nehmen, als ihm plötzlich bewußt wurde, daß er den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Essen war ansonsten eins der Laster, die er sich im Leben gönnte, wovon eine leichte Schlaffheit um die Taille zeugte, und er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal eine Mahlzeit oder sogar zwei vergessen hatte. Er war zu müde, um etwas zuzubereiten, und machte sich statt dessen ein paar Käsebrote mit ein paar Tupfern Kaviarcreme und tunkte sie in den heißen Kakao. Erica verzog wie gewöhnlich leicht angewidert das Gesicht beim Anblick dieser nach ihrem Geschmack abstoßenden Kombination, aber für Patrik war es eine göttliche Kost. Drei Brote später waren die Kopfschmerzen nur noch eine Erinnerung, und er fühlte, daß er neue Kräfte bekam.
»Du, wollen wir am Wochenende nicht Dan und sein Mädel zu uns einladen? Wir können ein bißchen grillen.«
Erica zog die Nase kraus und wirkte nicht übermäßig entzückt.
»Hör mal, du hast Maria ja überhaupt keine Chance gegeben. Wie oft hast du sie getroffen? Zweimal?«
»Ja, ja, ich weiß. Aber sie ist einfach so …«, sie suchte nach dem passenden Wort, »eben so einundzwanzig.«
»Dafür kann sie doch nichts. Also, daß sie jung ist. Sicher stimme ich dir zu, daß sie manchmal ein bißchen dusselig wirkt, aber wer weiß, vielleicht ist sie nur schüchtern? Und Dan zuliebe können wir uns ruhig ein bißchen anstrengen. Ich meine, er hat sie sich nun mal ausgesucht. Und nach der Scheidung von Pernilla ist es ja wohl nicht so verwunderlich, daß er eine Neue kennengelernt hat.«
»Nicht zu glauben, wie tolerant du plötzlich geworden bist«, sagte Erica säuerlich, aber sie mußte sich dennoch eingestehen, daß Patrik nicht ganz unrecht hatte.
»Wie kommt es, daß du so großmütig bist?«
»Ich bin immer großmütig, wenn es um einundzwanzigjährige Mädels geht. Sie haben so manche Qualitäten.«
»Ach ja, und welche?« sagte Erica verschnupft, bevor sie begriff, daß Patrik sie aufzog. »Äh, laß das. Ja, du hast wohl recht. Sicher werden wir Dan und seinen kleinen Teenie zu uns einladen.«
»Also hör mal.«
»Ja, ja, Dan und MARIA. Das wird sicher nett. Ich kann Emmas Puppenhaus rausstellen, dann hat sie was zu tun, während wir Erwachsenen zu Abend essen.«
»Erica .«
»Ich WERDE aufhören. Es fällt mir nur so schwer, das zu lassen. Es ist wie ‘ne Art Tick.«
»Böses Weib, komm ein bißchen schmusen, statt weiter Ränke zu schmieden.«
Sie nahm ihn beim Wort, und sie schmiegten sich auf dem Sofa aneinander. Für Patrik war das hier das Mittel, das ihm half, mit den dunkleren Seiten des Menschen, wie sie ihm in seinem Job begegneten, fertig zu werden. Der Gedanke daran, daß er vielleicht dazu beitragen konnte, wenn auch vielleicht nicht viel, die Welt für das Kind sicherer zu machen, das jetzt die Füße gegen seine Handfläche stemmte, dort unter der gespannten Haut von Ericas Bauch. Vor dem Fenster flaute der Wind mit einbrechender Dunkelheit immer mehr ab, und die Farbe des Himmels ging von Grau in flammendes Rosa über. Er vermutete, daß morgen wieder die Sonne scheinen würde.
Patriks Vorahnungen in bezug auf die Sonne erwiesen sich als richtig. Am Tag darauf war es, als hätte es nie geregnet, und um die Mittagszeit dampfte der Asphalt von neuem. Martin schwitzte, obwohl er nur Shorts und T-Shirt trug, aber das schien fast schon der normale Zustand zu sein. An die Kühle des gestrigen Tages erinnerte er sich nur noch wie an einen Traum.
Er war etwas ratlos, wie er mit der Arbeit weitermachen sollte. Patrik saß bei Mellberg, so daß er sich nicht mit ihm absprechen konnte. Eins seiner Probleme war die Information aus Deutschland. Man konnte sich von dort jeden Moment wieder bei ihm melden, und er befürchtete, daß er aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse irgend etwas mißverstehen könnte. Das beste war es wohl, sich schon jetzt nach jemandem umzusehen, der ihm beim Dolmetschen helfen konnte, mittels einer Konferenzschaltung. Aber wen sollte er um Hilfe bitten? Die Dolmetscher, die sie früher hinzugezogen hatten, waren meist Dolmetscher für baltische Sprachen, auch für Russsisch und
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